Ein Ost-West-Denken, das in Deutschland immer noch vorherrscht und polarisiert?
Nach wie vor wird gern auf diese gesellschaftlichen Konzepte "typisch ostdeutsch", "typisch westdeutsch" zurückgegriffen, um Unterschiede einfach zu erklären, meist von außen und oben herab. Gleichzeitig gibt es Erfahrungen, die nur auf eine der beiden Gruppen zutreffen – wie den Alltag in der DDR oder in der BRD. Nächstes Jahr wird das 75. Jubiläum der westdeutschen, jetzt gesamtdeutschen Verfassung gefeiert. Viele Ostdeutsche merken an, man könnte zumindest ansprechen, dass sie bei dieser Geburtsstunde gar nicht dabei waren. Davon auszugehen, dass Ostdeutsche diese westdeutsche Geschichte als ihre eigene empfinden, ist für viele schwierig.
Es sind jedenfalls noch immer eine Menge Wut und Resistenz gegen dieses Deutungsmuster verbreitet. Sonst würde das Buch nicht so polarisieren.
Nach wie vor gibt es strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West: Die Menschen im Osten verdienen im Schnitt weniger, die Abwanderung ist größer, weniger Ostdeutsche haben Spitzenpositionen inne. Inwiefern nutzt das der AfD im Osten?
Sonneberg in Thüringen, wo gerade der erste AfD-Landrat gewählt worden ist, hatte in der DDR Industrie, die nach der Wende abgebaut wurde. Man hat der Privatisierung freien Lauf gelassen, ganze Wirtschaftszweige fielen weg. Westdeutsche Berater kamen und dachten, sie müssten den Ossis jetzt erklären, wie alles funktioniert – etwa im Schulsystem. Meine Lehrerinnen haben nach dem Unterricht hinter der Schule geweint: 30 Jahre hatten sie den Beruf gemacht, dann kam jemand von außen, der ihnen erklärte, was sie zu tun hatten.
Man gab den Menschen das Gefühl, sie hätten ihr Leben jahrzehntelang falsch geführt. Wenn die Jungen heute von dort wegziehen, weil die Chancen fehlen, bleibt diese Mentalität, nicht gehört worden zu sein, übrig. Das weiß die AfD zu nutzen, sie ist vor Ort, redet mit den Menschen, verstärkt die Meinung, dass "die da oben in Berlin" nicht zuhören. Es geht nicht darum, ob das so ist oder nicht, sondern darum, dass es so wahrgenommen wird.
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Darüber sind die Menschen so verärgert, dass sie bereit sind, eine Partei zu stärken, die der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall einstuft und der demokratiefeindliche Züge nachgesagt werden?
Viele AfD-Wähler sagen, sie waren schon 1989 auf der Straße gegen ein Regime, das vorschreiben wollte, wie man zu leben habe, heute sei es etwa mit dem Heizungsgesetz ähnlich. Die Menschen wollen gehört werden, alles andere ist zweitrangig. Viele sehen ihre Wahl nicht als demokratiefeindlich, sondern als Form der Demokratie. Die AfD genießt gerade aber auch im Westen enorme Zuwächse, etwa in Nordrhein-Westfalen, das traditionell als Spiegel der Bundesrepublik gilt. Auch dort herrscht Frustration darüber, wie Politik vermittelt wird.
Was müssen die anderen Parteien also tun?
Zuhören. Im Moment besteht das Gefühl, dass nur die AfD mit den Menschen spricht. Bei der Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt lieferten sich CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Armin Laschet, damals CDU-Kanzlerkandidat, hat sich mit Händen und Füßen gewehrt, hinzufahren. Die AfD war sofort vor Ort.
Man darf nicht davon ausgehen, dass alle AfD-Wähler so radikal sind wie die Partei selbst. Die Leute, mit denen ich geredet habe, sagen oft, sie würden wieder eine andere Partei wählen, würde diese eine "vernünftige" Politik anbieten. Was das bedeutet, muss man eben herausfinden, indem man mit den Leuten spricht. Ein AfD-Verbot oder eine Brandmauer aller gegen die AfD ist keine Lösung. Die AfD ist ein Ventil für etwas, das nicht weggeht, wenn man nur das Ventil entfernt.
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Sie schreiben auch über Angela Merkel, die in der DDR aufgewachsen ist. Wie sehr hat sie als Kanzlerin den Ostdeutschen genützt?
Kaum. In den frühen 90er-Jahren hat sie versucht, das Thema anzusprechen, ist aber immer auf Gegenwind gestoßen. Als bekannt wurde, dass sie für ihre Dissertation einen politischen Aufsatz schreiben musste, machten sich westdeutsche Journalisten auf die Suche nach einem "Ach, wie toll ist doch der Marxismus"-Text. Sie hat gelernt, ihre Herkunft nicht zu betonen. Sie hat gelernt, ihre Herkunft nicht zu betonen. In Ostdeutschland wurde ihr das oft vorgeworfen. Erst in ihrer letzten Rede kritisierte sie, wie verkürzt oft über die DDR gesprochen würde. Andererseits, hätte sie es mehr thematisiert, wäre es in ihrer politischen Karriere wohl nicht so schnell bergauf gegangen.
Merkel hat die CDU in die Mitte gerückt. Inwiefern hat das die AfD gestärkt?
Merkel war innerhalb der CDU weit links angesiedelt und hat die CDU in die Mitte geholt. Rechts davon gab es erst mal eine Weile nichts, bis irgendwann ganz außen die AfD aufschien. Deshalb wird ja auch gerade innerhalb CDU/CSU debattiert, wo sich die Partei künftig ansiedeln soll. Viele Menschen sehen auch deshalb die Parteiauswahl, wie sie im Moment existiert, als problematisch an, und gehen nicht mehr wählen. Oder stimmen für die AfD.
CDU-Vorsitzender Friedrich Merz nimmt sich ja zumindest rhetorisch ein Beispiel an der AfD. Ist das dann der richtige Weg?
Er hängt sich sehr an populistischen Kleinigkeiten fest, vom Gendern über eine bestimmte Wortwahl, die er verwendet. Den meisten Leuten aber geht es darum gar nicht, sondern um die große Richtung der Politik. Und sie spüren glaube ich auch, dass die Union sich da innerhalb noch nicht ganz einig ist. Mit Unklarheit gewinnt man keine Wahlen. Das gilt für alle Parteien.
Sie sind in Brandenburg geboren. Identifizieren Sie sich als Ostdeutsche?
Ich war vier Jahre alt, als die Mauer fiel. Seit über zehn Jahren wohne ich in Großbritannien. Da werde ich nur als "German" gesehen.
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