Kairo: Erst Panzer, dann Dialog

epa03498298 Egyptian army soldiers prepare barbed wire as a tank is stationed in front of the presidential palace after violent clashes between opponents and supporters of President Mohamed Morsi, in Cairo, Egypt, 06 December 2012. Six people were killed and at least 350 others injured in overnight clashes between opponents and backers of Egyptian President Mohamed Morsi outside the presidential palace in Cairo. At least three tanks were deployed while the elite Republican Guard troops fanned out around the palace to "secure it against any possible transgressions," reported the state news agency. Morsi will address the political crisis in a speech to the nation later in the day. EPA/KHALED ELFIQI
Präsident Mursi verteidigt seine Politik, will aber verhandeln. Die Proteste gehen weiter

Spätabends, nach einem Krisentreffen mit seinem Kabinett und dem Armeechef, wandte sich Präsident Mohammed Mursi im Fernsehen an die Bevölkerung: Die Ägypter müssten nun Geschlossenheit beweisen. Über die Verfassung werde trotz der Proteste am 15. Dezember das Volk entscheiden, das sei schließlich das Wesen der Demokratie. Die Dekrete, mit denen er zuvor seine Amtshand­lungen der gerichtlichen Kontrolle entzogen hatte, seien aus Gründen der na­tionalen Sicherheit erfolgt. Mursi sagte, er respektiere die Freiheit, Meinungen zu äußern, doch Aufrufe, die Regierung zu stürzen, werde er nicht er­lauben, ebenso wenig Gewalt und Sabotage. Die Schuld an der Eskalation der vergangenen Tage gab der Präsident indirekt den Gegner der Is­lamisten, die gegen seinen umstrittenen Verfassungsentwurf mobil machen. Schließlich drückte er noch Trauer über die Todesopfer aus und rief alle Seiten zum Dialog auf. Politische Kräfte, Anhänger der Revolution und Richter sollten sich am Samstag in Kairo treffen.

Die erste Oppositionsgruppe hat das Dialogangebot Mursis zurückgewiesen: Auf ihrer Facebookseite erklärte die "Bewegung des 6. Aprils", die bereits im Widerstand gegen den ehemaligen ägyptischen Diktator Hosni Mubarak eine wichtige Rolle gespielt hatte, sie werde nicht mit Mursi sprechen. Stattdessen werde sie am Freitag an weiteren Protesten gegen Mursi teilnehmen.

Nach der Ansprache dürfte auch das Hauptquartier der islamistischen Muslimbruderschaft von Demonstranten angezündet worden sein.  Die staatliche Nachrichtenagentur MENA berichtete von einem Feuer in einem Büro der Muslimbrüder im südlich von Kairo gelegenen Vorort Maadi sowie einem Einbruch in einem Büro in der Nähe des Stadtzentrums.

Militär greift ein

Die äygptische Verfassungskrise war zuvor eskaliert: Sieben Menschen verloren bei Straßenschlachten das Leben, mehr als 600 wurden verletzt. Vor dem Präsidentenpalast in Kairo trafen am Donnerstag Gegner und Anhänger Mursis aufeinander, die Präsidentengarde stellte ein Ultimatum. Mursis Muslimbrüder zogen ab, seine Gegner blieben. Schließlich griff erstmals wieder das Militär ein: Panzer und gepanzerte Truppentransporter bezogen zur Unterstützung der Polizei rund um den Präsidentenpalast Stellung, langsam beruhigte sich die Lage wieder; manche Schauplätze verlagerten sich nur. Für Freitag wurde eine neuer­liche Eskalation erwartet.

Der zwölfte Mann

Teil dieser Eskalation dürften bekannte Fußballfans sein: der „Zwölfte Mann“ des Kairoer Klubs Al Ahly. Diese kennen die Polizeieinheiten, sie sind jung, schnell, und sie sind viele. Wie bei Mubaraks Sturz sind auch diesmal die Fans an vorderster Front der Aufstände. Sie sind mit Schlagstöcken und Leucht­raketen bewaffnet und sind bereit, Schläge einzustecken. Die Ultras von al-Ahly sind seit dem Kampf gegen Mubarak der „militärische Arm“ der Revolution. Man schätzt sie auf rund 20.000 Mann. Es sind junge Männer ohne Perspektiven, aber mit Zusammenhalt. Fußball ist ihre Religion, deshalb sind sie immun gegen die Radikalisierungsversuche der Islamisten. Die „Jungs“, wie sie genannt werden, marschierten auch diesmal wieder auf – gestärkt durch sportliche Erfolge (Al Ahly gewann vor Kurzem die afrikanische Champions League) und voll von Rachegedanken – im Februar starben 74 Ahly-Fans bei Zusammenstößen, für die die Ultras der Polizei die Schuld geben. Doch die gewaltbereiten Fußballfans sind nicht die einzigen dubiosen Verbün­deten der Säkularisten in den aktuellen Aufständen gegen die Muslimbrüder. „Alle, die gegen die Muslimbrüder sind, schließen sich zusammen“, sagt ein Beobachter der politischen Lage in Ägypten.

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