Jünger als Sebastian Kurz war nur Einer
Sebastian Kurz wird mit seinen 31 Jahren also Europas jüngster Regierungschef. Blickt man ein wenig zurück, gab’s freilich einen, der bei seinem Amtsantritt noch viel jünger war: William Pitt wurde 1783 mit 24 zum jüngsten britischen Premierminister aller Zeiten ernannt. Und er war kein unbedeutender Mann, schaffte die Sklaverei ab und wurde Napoleons Gegenspieler.
Eine Art Wunderkind
Schon sein Vater, William Pitt der Ältere, war Premierminister und zählt zu den großen britischen Staatsmännern. Pitt jun. galt als eine Art Wunderkind, er studierte schon mit 14 Jahren an der Universität Cambridge Jus und engagierte sich früh politisch, insbesondere als Gegner des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und für die freie Religionsausübung der Katholiken.
Mit 22 Jahren erhielt William Pitt – wie sein Vater Mitglied der liberalen Whigpartei – einen Sitz im Unterhaus, doch er wusste damals schon, dass er höher hinaus wollte und lehnte alle Angebote für untergeordnete Ämter ab. Erst als man dem 23-Jährigen die Position des Schatzkanzlers (= Finanzminister) übertrug, sagte er zu. Die Bevölkerung sah in dem großen, schlaksigen Jüngling ein fast übernatürliches Wesen.
Ein Jahr später schaffte König George III. – bei dem sich erste Anzeichen seiner Geisteskrankheit bemerkbar machten – das Finanzministerium ab. William Pitt ging auf Reisen, kehrte aber genau zum richtigen Zeitpunkt nach London zurück, als Premierminister Lord Frederick North – unter heftiger Beteiligung Pitts – gestürzt wurde. Nach drei erfolglosen Übergangskandidaten ernannte der König am 19. Dezember 1783 den 24-jährigen Pitt zum jüngsten Premierminister in der Geschichte Großbritanniens.
Und er war trotz mangelnder politischer Erfahrung als Regierungschef erfolgreich. Am 2. April 1792 hielt er die wichtigste Rede seines Lebens. Mit ihr schrieb der junge Premier Geschichte. Es war drei Uhr früh, und Pitt war vollkommen erschöpft, als er im Parlament die Herzen der Abgeordneten erreichte. Pitt forderte, "die Schwarzafrikaner als freie Menschen und nicht länger als Sklaven zu betrachten".
Ende der Sklaverei
Die Rede beeindruckte die Mitglieder des Unterhauses dermaßen, dass die Sklaverei mit 230 zu 85 Stimmen in den Kronkolonien schrittweise abgeschafft wurde.
In anderen Fragen agierte Pitt – wohl geschockt durch die Auswirkungen der Französischen Revolution – konservativ bis reaktionär, etwa wenn es um die Vereins-, Versammlungs- und Pressefreiheit ging, die er ebenso wie andere Bürgerrechte einschränkte. In einem Punkt überschneiden sich Pitts Ideen mit jenen des jungen Bundeskanzlers, der morgen in Österreich angelobt wird: Wie Sebastian Kurz setzte der britische Premier durch, dass einreisende Ausländer an den Grenzen verschärft kontrolliert wurden. Pitt ging noch weiter und beschnitt deren Freiheitsrechte.
Ein wichtiger Punkt in William Pitts Amtszeit war die durch die Kriege gegen Napoleon notwendig gewordene Sanierung der Staatsfinanzen, die ihm durch Einführung einer Einkommenssteuer und durch Reformen des Zollwesens gelang. Die neue Steuer stieß zwar, wie zu erwarten, auf wenig Gegenliebe der Bürger, erreichte aber ihr Ziel.
Vereinigtes Königreich
Ein großes Problem der Ära Pitt war ein Aufstand der Iren, den er mit blutiger Härte niederschlug, ehe er im Jahr 1800 die Vereinigung der beiden Länder durchsetzte. Von nun an hieß der Inselstaat Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland (heute Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland). Wurde er anfangs noch als "Schuljunge in der Regierung" verspottet, erfreute sich Pitt jetzt – trotz unpopulärer Maßnahmen – zunehmender Beliebtheit.Als König George III. sich weigerte, den katholischen Iren die von Pitt zugesagte Religionsfreiheit und Gleichberechtigung zu ermöglichen, trat der immer noch junge Premier nach 17-jähriger Amtszeit zurück, und der konservative Henry Addington wurde sein Nachfolger. Als dieser mit Napoleon einen für England ungünstigen Friedensvertrag ausgehandelt hatte, wurde er – wieder unter heftiger Beihilfe William Pitts – gestürzt: Der übernahm nun, mittlerweile 45 Jahre alt, neuerlich das Amt des Premierministers.
Krieg gegen Napoleon
Doch seine letzte Amtszeit verlief wenig glücklich. Pitt litt an einer schweren Gichterkrankung, die ihn in seiner Amtsführung einschränkte. Bald auch politisch vom Pech verfolgt, zogen Großbritanniens Verbündete neuerlich in den Krieg gegen Frankreich, der mit Napoleons Sieg bei Austerlitz endete. Die Nachricht vom desaströsen Ausgang der Schlacht löste bei William Pitt einen Schlaganfall aus, dem er 46-jährig erlag. Seine letzten Worte waren "Oh, my country!"
Pitt war nie verheiratet, es ist auch keine intime Beziehung bekannt, sein größtes und einziges Vergnügen sollen die Regierungsgeschäfte gewesen sein. So sehr er sich für die Sanierung der Staatsfinanzen eingesetzt hatte, so wenig gelang ihm die Sanierung seines privaten Haushalts: Pitt hinterließ einen Schuldenberg von 40.000 Pfund, der von der britischen Regierung posthum beglichen wurde.
Abgesehen von Monarchen, die mitunter schon als Kinder oder Jugendliche den Thron bestiegen (Frankreichs König Ludwig XIV. mit fünf Jahren, Kaiser Franz Joseph mit 18), kamen u. a. diese Politiker in jungen Jahren an die Spitze:
Muammar Gaddafi wurde 1969 libyscher Revolutionsführer im Alter von 27 Jahren.
Kim Jong-un Seit 2011 Diktator in Nordkorea (mit 27 Jahren).
Taavi Roivas 2014 Ministerpräsident von Estland (34).
Benazir Bhutto 1988 pakistanische Regierungschefin (35).
Viktor Orbán 1998 ungarischer Ministerpräsident (35).
Kurt Schuschnigg 1934 österreichischer Bundeskanzler (36).
Jacinda Ardern 2017 Premierministerin von Neuseeland (37).
Laurent Fabius 1984 französischer Premierminister (37).
Leo Varadkar Seit 2017 Premierminister von Irland (38).
Charles Michel Seit 2014 belgischer Ministerpräsident (38).
Emmanuel Macron Seit 2017 französischer Staatspräsident (39).
Matteo Renzi 2014 italienischer Ministerpräsident (39).
Alexis Tsipras 2015 Ministerpräsident von Griechenland (41).
Justin Trudeau Seit 2015 Premierminister von Kanada (43).
Eben erschienen: In seinem neuen Buch "Fundstücke", erzählt Georg Markus Geschichten, die sich aus ihm zugespielten Tagebüchern, Briefen, Testamenten und anderen Dokumenten ergaben, darunter: "Das Tagebuch des letzten Adjutanten Kaiser Franz Josephs", "Anna Sachers große Liebe", "Der Anfang vom Ende der Donaumonarchie", "Der verliebte General", "Verbotene Briefe aus dem Konklave", "Der frühe Tod von Goethes
Enkelin in Wien", "Malerfürst und Tochter der Sünde", "Frau Alma hatt’ auch einen Pfarrer", "Beethovens einzige Liebe", "Schloss Mayerling vor der Tragödie", "Eine Kaiserin wird wahnsinnig" u. v. a.
Georg Markus, "Fundstücke. Meine Entdeckungsreisen in die Geschichte", Amalthea Verlag, 280 Seiten, zahlreiche Fotos und Dokumente, € 25,– Erhältlich im Buchhandel oder – handsigniert vom Autor – im kurierclub.at
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