Russland-Experte: "Putin ist angeschlagen, aber noch nicht am Boden"

Am Wochenende überschlugen sich in Russland die Ereignisse: Der Oligarch Jewgeni Prigoschin umstellte mit seinen Wagner-Söldnern am Samstag das militärische Kommandozentrum der russischen Armee für den Krieg in der Ukraine in Rostow.
➤ Das ist am Samstag in Russland passiert
Vieles ist jedoch nach wie vor ungerklärt - der KURIER fragte Russland-Experte Gerhard Mangott nach seiner Einschätzung.
KURIER: Herr Mangott, wie überraschend war die Meuterei in Russland denn für Sie?
Mangott: Ich war überrascht, dass Prigoschin es wirklich wagen würde, seine Kämpfer in Richtung Moskau zu schicken. Die Aussichten auf Erfolg waren gering. Prigoschin hat sicher darauf gehofft, dass jemand aus der politischen Führung in Moskau hervortritt und ihn unterstützt, vielleicht niedrigere Ränge der russischen Armee sich mit ihm verbünden. Er hat sich wohl auch mehr Rückhalt in der Bevölkerung erhofft. Aber das hat sich nicht erfüllt. Nicht einmal der ihm nahestehende stellvertretende Verteidigungsminister hat ihn unterstützt. Prigoschin hat diesen Vormarsch nicht beendet, weil er ein Blutvergießen vermeiden wollte, wie er behauptet. Er hat das beendet, weil er wusste, das ist aussichtslos.
Das heißt, er hat sich deutlich überschätzt?
Ja, das hat auch einen Grund. Prigoschin hat seit Monaten permanent gegen den Verteidigungsminister und gegen den Generalstabschef agitiert, hat sie der Unfähigkeit der Korruption bezichtigt und damit immer wieder rote Linien überschritten. Aber Putin hat ihn einfach gewähren lassen. Und das war ein eklatantes Führungsversagen von Putin. Diese Rebellion, die jetzt gescheitert ist, wäre nicht möglich gewesen, hätte Putin sich nicht so lange passiv verhalten und wäre in Prigoschin damit nicht der Eindruck erweckt worden, er könne sich alles leisten - sogar eine bewaffnete Meuterei.
Der Machtkampf hat eben schon länger getobt, warum ist er dieses Wochenende eskaliert?
Vor drei Wochen hat Russlands Verteidigungsminister Schoigu eine Verordnung erlassen, dass sich alle paramilitärischen Formationen in Russland dem Verteidigungsministerium unterstellen müssen. Prigoschin hat sofort gesagt, dass er das nicht tun wird. Es gab ein Ultimatum bis zum 1. Juli, Prigoschin wollte vor Ablauf mit dieser abenteuerlichen Aktion seine Karten verbessern.
Warum hat Putin Prigoschin überhaupt so lange so viel durchgehen lassen? Der Kreml-Chef ist ja normalerweise für seine Härte bekannt.
Es ist ein Wesensmerkmal von Putins Herrschaft, dass er die politische Führung gegeneinander auftreten lässt. Da gibt es oft heftige Rivalitäten um Einfluss, Macht und Geld. Putin lässt diese Kämpfe zu, schaut sie sich an und entscheidet irgendwann als letzter Schiedsrichter, wer Recht bekommt. Für eine gewisse Zeit kann man sagen, dass Putin dieses System der Auseinandersetzung zwischen Prigoschin, Schoigu und Gerassimow angewandt hat. Aber er hätte längst erkennen müssen, dass diese Rivalität zu weit gegangen ist. Und das führt auch dazu, dass in seiner Umgebung viele nicht mehr ganz überzeugt sind, ob er ein so wissender, umsichtiger, alles unter Kontrolle habender Führer ist. Das ist der große Schaden, den Putin davongetragen hat.

Russland-Experte Gerhard Mangott
Wie groß ist dieser Schaden wirklich? Wie sehr ist Putin geschwächt worden?
Er ist angeschlagen. Aber er ist nicht angezählt, wie ein Boxer, der auf dem Boden liegt. Putin wird in den nächsten Monaten demonstrieren müssen, dass er wieder das wird, was alle in ihm gesehen haben - ein entschlossener Führer, der weiß, was er will und alles unter Kontrolle hat. Er muss diese Autorität zurückgewinnen.
Prigoschin soll straffrei im Exil in Belarus weiterleben dürfen. Was würde es bedeuten, wenn Putin sein Wort diesbezüglich nicht hält?
Es wird sehr darauf ankommen, wie Prigoschin sich verhält. Er kann - und das wäre für ihn ratsam – anfangen Rosen zu züchten oder fischen zu gehen. Oder aber er kann - und das ist sehr viel wahrscheinlicher - seine Agitation gegen die Militärführung und gegen Putin fortsetzen. Das wäre nach dem ersten Akt, der mit dieser Zwischenlösung am Samstag geendet hat, die Fortsetzung dieses Dramas. Und da muss Putin hart durchgreifen, sonst verliert er noch viel mehr an Autorität.
Prigoschin hat in der russischen Bevölkerung Bekanntheit und durchaus Fans. Könnte das Putin noch zum Verhängnis werden?
Ja, diese Anhängerschaft gibt es. Aber nur etwa fünf Prozent der Russen vertrauen Prigoschin. Dieser Anteil ist in den letzten Monaten gestiegen, aber letztlich waren es fünf Prozent. Also so stark ist der Rückhalt noch nicht.
Manche sprachen am Samstag von einem Bürgerkrieg. Wie schätzen Sie die Lage jetzt ein und wie schaut es auch mit möglichen weiteren Aufständen aus?
Die große Frage ist, wie es mit der Gruppe Wagner weitergeht. Diejenigen, die nicht an der Meuterei beteiligt waren, sollen sich in die reguläre Armee eingliedern können. Diejenigen, die beteiligt waren, sollen straffrei davonkommen. Aber es wurde nicht gesagt, was mit ihnen passiert. Bleiben sie unter der Kontrolle Prigoschins? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin zulässt, dass Prigoschin Anführer dieser Gruppe bleibt. Das kann er sich nicht leisten.
Wird Putin jetzt in der Ukraine noch offensiver vorgehen?
Die russische Seite tut gerade alles, was sie tun kann, um die ukrainische Offensive zu verlangsamen oder an einigen Stellen aufzuhalten und fallweise Gegenattacken durchzuführen. Mehr kann Putin im Augenblick nicht tun. Die immer wieder geäußerte nukleare Drohung erachte ich als möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Die wird es sicherlich nicht jetzt tatsächlich als Karte ziehen, sondern nur im Fall einer drohenden Kriegsniederlage, also eines Verlusts der Krim. Natürlich war die Meuterei ein politischer Erfolg für die Ukraine. Aber sie hat zu kurz gedauert, um für die Ukraine militärische Vorteile zu bringen. Außer vielleicht, dass bei den niedrigeren Rängen der russischen Armee die Kampfmoral noch weiter nachlässt, weil sie sich fragt: Was ist das für eine Führung, die sich uneinig ist? Man wird es an der Kampfberitschaft in den nächsten Tagen und Wochen sehen.
➤Wie die Wagner-Revolte den Krieg beeinflusst
Österreichs Innenminister Gerhard Karner hat gemeint, dass Vorgänge wie jene vom Wochenende eine Auswirkung auf die innere Sicherheit hätten. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
Ich halte solche Äußerungen für völlig unangebracht. Bundeskanzler Nehammer hat ja auch gesagt, man werde nicht zulassen, dass diese russischen Streitigkeiten auf österreichischem Boden ausgetragen werden. Aber diese Gefahr gibt es überhaupt nicht. In der russischen Community in Österreich gibt es natürlich solche, die mit Prigoschin sympathisieren, und solche, die mit Putin sympathisieren - und da gibt es durchaus starke Meinungsdifferenzen. Aber das würde sich jetzt nicht in gewaltsamen Demonstrationen ausleben. Ich fürchte, hier wird eine außenpolitische Krise wieder für innenpolitische Zwecke verwendet, das finde ich nicht gut.
Ist es im Bereich des Möglichen, dass Prigoschin in Österreich Asyl bekommen könnte?
Nein, Erstens ist er ein Kriegsverbrecher und zweitens, und das ist der wichtigste Grund, steht Prigoschin seit 2014 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union, hat also auf EU-Boden nichts anderes zu erwarten als eine Verhaftung. Aber sicherlich nicht, dass ein Staat wie Österreich ihm Asyl gewährt, das wäre absurd. Und dann würde man natürlich russische Streitigkeiten erst recht nach Österreich holen. Dann wäre diese Aussage vom Bundeskanzler etwas glaubwürdiger. Aber das wird nicht der Fall sein.
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