Jeremy Corbyn: Der Gescheiterte gibt nach
Der klarste Sieg für die britischen Konservativen seit Jahrzehnten bedeutet zugleich eine krachende Niederlage für die Labour-Partei. Spitzenkandidat Jeremy Corbyn will seinen Platz zwar erst in "wenigen Monaten" räumen, als Hoffnungsträger der britischen Linken und als Signal für andere sozialdemokratische Parteien in Europa ist er aber Geschichte.
Nach dem Debakel sagte der 70-jährige Parteilinke, die Themen von Labour seien "äußerst populär" gewesen. Der Brexit habe aber alle anderen Fragen überdeckt.
Später am Freitag verteidigte er den Wahlkampf und seine gut vierjährige Zeit an der Parteispitze. "Ich habe alles getan, um diese Partei zu führen, ich habe alles getan, um unsere Programme zu entwickeln, und seitdem ich Parteichef geworden bin, hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt."
Linkes Programm
Corbyn war mit einem sogenannten "Manifest" mit klar sozialdemokratischer Handschrift in die Wahl gegangen. Er versprach höhere Steuern für Einkommen ab 80.000 Pfund, eine 32-Stunden-Woche, deutlich mehr Geld für Kinderbetreuung und Bildung sowie kostenloses schnelles Internet für alle Bürger. Mitarbeiter von großen Firmen wollte er per Gesetz mit bis zu zehn Prozent an ihrem Unternehmen beteiligen und an Gewinnen mitverdienen lassen.
Beim Thema EU-Austritt wirkte Corbyn dagegen nicht so entschieden. Im Falle eines Wahlsiegs hätte Corbyn einen neuen Brexit-Deal mit Brüssel verhandeln wollen, der die EU und das Königreich enger aneinander binden sollte, als dies Premier Boris Johnson will. Dann hätte Corbyn die Briten noch einmal über den Brexit abstimmen lassen. Johnsons Slogan "Den Brexit erledigen" war viel eingängiger.
Was noch schwerer wog: Corbyn gilt eigentlich als EU-Skeptiker, sein Schlingerkurs in der Frage ließ ihn schwach erscheinen.
Abgesackt
"Jeremy Corbyn wurde diesmal gezwungen, eine Brexit-Linie zu vertreten, an die er selbst nicht geglaubt hat. 2017 hat er noch sein Verständnis für den EU-Austritt und die Stimmung in Nordengland geäußert", sagt die britische Politikwissenschaftlerin Melanie Sully.
Wohl auch deshalb sackte Labour gegenüber 2017, als man mit Corbyn an der Spitze noch 262 von 650 Sitzen im Unterhaus errungen hatte, am Freitag auf nur mehr 203 Mandate ab.
Eine Umfrage des Instituts ICM zeigte kurz vor der Wahl, dass Labour bei Wählern von 18 bis 24 Jahren zwar 49 Prozent Zustimmung hat, bei jenen von 25 bis 34 Jahren immer noch 45 Prozent. Bei den Älteren sieht es allerdings deutlich schlechter aus.
Brexit schlug soziale Frage
Für einen Wahlsieg reichte das in den meisten der 650 Wahlkreise nicht. Aber es war nicht das Brexit-Thema allein, das Labour viele Wahlkreise kostete. Corbyns Versuch, die Debatte im Wahlkampf in Richtung der sozialen Frage und der maroden Infrastruktur zu lenken, misslang. Auch weil Labour es schon viel früher verabsäumt habe, die Wähler für die nun im "Manifest" getrommelten Themen zu begeistern, schreibt der Guardian.
Aber auch Corbyn selbst habe als Spitzenkandidat nicht verfangen, sagt Politologin Sully: "Es ging um Leadership und auch schlicht um Corbyns optische Wirkung. Auch bei der Verteidigung und Sicherheit des Landes genoss Corbyn kein Vertrauen. Viele sahen in ihm einen Oppositionspolitiker, aber keinen Premierminister in der Downing Street."
Kursfindung
Corbyn kündigte nun einen Rückzug auf Raten an. In die kommende Wahl werde er Labour nicht mehr führen. In den Anfangsmonaten 2020 soll Schluss sein.
Die britischen Sozialdemokraten werden sich 2020 dem Ringen um ihre künftige Linie widmen müssen. Der pragmatische Flügel fühlt sich durch Corbyns Absturz nun bestärkt, die Parteilinken erklären die Niederlage vor allem mit der Zuspitzung im Wahlkampf auf die Brexit-Frage.
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