Zu viele Herrscher, zu wenig Staat

Protest gegen US-Drohnen an einer Mauer in Sanaa. Seit dem Rücktritt von Präsident Saleh wächst das Machtvakuum.
Viel Platz für El Kaida im Machtvakuum. Angriffe durch US-Drohnen schüren den Anti-Amerikanismus.

Niemals allein in die Altstadt gehen!" "Ab 16 Uhr das Hotel auch nicht mit den beiden Sicherheitsmännern verlassen!": Mein Übersetzer Hakim bleut mir die wichtigsten Überlebensregeln in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa fast jeden Morgen in der Hotellobby aufs Neue ein.

Um 16 Uhr, sagt er, müssen wir spätestens zurück sein. Da beginnt die Zeit aller Gefahren. Ab da seien tausende Jemeniten vollgepumpt mit Kat, eine legale Droge, die aussieht wie frisches Basilikum. Das Zeug, sagt mein Übersetzer, mache aggressiv. Kat-kauende Jugend-Banden würden nach 16 Uhr Ausländer entführen, um sie an die Terrorgruppe El Kaida zu verkaufen. Westliche Regierungen, heißt es, zahlen fünf bis acht Millionen Euro pro Geisel. Geld, dass El Kaida für seinen Krieg gegen den Westen benutzt.

Trügerische Ruhe

Morgens, wenn die meisten noch ihren Kat-Rausch vom Vortag ausschlafen, fahren wir los – jedes Mal in ein anderes Viertel des unsicheren, chaotischen Sanaa. Meiner Eskorte verraten wir nicht, wohin es geht. Eine zusätzliche Maßnahme. Damit die beiden Männer nicht in Versuchung geraten, anderen unsere Pläne zu verraten.

Wenn es ruhige Momente gibt, dann sind sie in Sanaa trügerisch wie einmal zu Mittag in einem Restaurant. Wir sind kaum fertig mit dem Essen, treibt mich der Übersetzer an: " Lass uns gehen!" An einem Nebentisch starren zwei Bewaffnete schon zu lange in unsere Richtung.

Zumindest einen Krummdolch hat jeder Jemenit am Gürtel stecken. Laut Statistik gibt es doppelt so viele Waffen wie Bewohner. 50 Millionen Schnellfeuergewehre, Pistolen oder die obligaten Dolche kommen auf nur 25 Millionen Einwohner.

Jemen ist nun dabei, nichts mehr anderes zu haben, als eine bis auf die Zähne bewaffnete Bevölkerung und mehr El-Kaida-Zellen als jedes andere Land.

Kein Staat

Seit dem "Arabischen Frühling" und dem erzwungenen Rücktritt des langjährigen starken Mannes Ali Abdallah Saleh, gibt es wenig, was den Namen Staat verdient: "Der Übergangspräsident Mansur Hadi sagt, er bekommt alles in den Griff, aber es ist nicht so, meint ein Westeuropäer in Sanaa.

Angriffe von El Kaida auf das Verteidigungsministerium am helllichten Tag mit Dutzenden Toten gehören zum Alltag. Ein deutscher Leibwächter wird vor einem Supermarkt von Unbekannten erschossen. Ein UN-Mitarbeiter wird in einem Viertel vor einer Imbissstube entführt, wo wir am Tag davor vorbeifuhren.

Zurück ins Hotel also noch vor 16 Uhr – und hoffen, dass uns niemand gefolgt ist.

Sanaa auf dem Landweg verlassen ist eine Art Selbstmord-Aktion. Der Tourismus ist in dem historisch reichen Land tot. Als ich nur andeute, ich würde gerne die Königsstätte Marib – Sitz der legendären Königin von Saba, nur 100 Kilometer östlich von Sanaa – besuchen, rät man mir sofort ab. Überlandstraßen sind teilweise unter der Kontrolle von Banden und Stämmen.

Im Norden, wohin ich nur mit dem Flugzeug reisen kann, weil der Landweg zu gefährlich ist, herrscht ein Kleinkrieg. Huthis, Milizen von Schiiten, wollen Unabhängigkeit. Zehntausende Flüchtlinge leben in Zelten und scharren sich um die einzige Krankenstation.

Im südlichen, spärlich bewohnten Jemen breiten sich mehr und mehr Zellen von "El Kaida auf der arabischen Halbinsel" aus. In langen Kampagnen hat die Armee erfolglos versucht, die Terrorgruppe aufzureiben.

Obamas Drohnen

Zusätzlich ist Jemen eines der wichtigsten Ziele der umstrittenen Drohnen-Kampagne von Präsident Obama. 2013 gab es ingesamt 20 solcher Angriffe auf die lokale El-Kaida- Führung.

Jemen ist in den Augen der Amerikaner wichtiger als jedes andere Land in der Region: Der Golf von Aden um Südwest-Jemen ist eine strategische Schifffahrtsroute. Auf der anderen Seite liegt schon das chaotische Somalia.

Gelingt es El Kaida, die jemenitische Seite der Meeresstraße zu kontrollieren, kommt wahrscheinlich die Weltwirtschaft zum Stillstand.

Die US-Drohnen erreichen zwar aus der Luft ihre militärischen Ziele "relativ genau", sagt mir eine Vertreterin einer Menschenrechtsorganisiation in Sanaa. Mit jedem Schlag wird aber der Anti-Amerikanismus stärker: "Wir dulden das nicht mehr lange", sagt mir ein Abgeordnteter in Hof des Parlaments mit der Wut aller Hilflosen.

Eines Morgens ist mein Übersetzer völlig außer sich. Er habe gerade ein neues Video von einem Treffen von über Hundert jemenitischen El-Kaida- Kämpfern im Internet entdeckt: Wie können sie sich trotz der Drohnen-Gefahr in aller Ruhe so versammeln, fragt er?

Die Antwort lautet, dass Jemen zu viele Herren hat: Dazu gehört Ex-Präsident Saleh. Er regiert weiter von seinem schwerbefestigten Haus aus über eine kleine Privatarmee. Dazu gehört die Armee. Nach den Protesten des Arabischen Frühlings drohte ihre Entmachtung. Inzwischen zieht sie wieder die Fäden im Hintergrund. Dazu gehören Clans, die ganze Ministerien kontrollieren.

Konservativer Islam

Als der Internationale Währungsfonds Jemen einen Kredit geben wollte, fand er keine unverdächtige Behörde, um ihr das Geld zu überweisen. Die weitverbreitete Korruption wird begleitet vom Ansteigen eines konservativen Islam. In Sanaa ist er überall sichtbar in Form des Gesichtsschleiers, Nikab genannt.

Ich kaufe mir einen samt Umhang bis zum Boden um die 40 Euro, um nicht als Ausländerin geoutet zu werden. Auf dem Hintersitz des Wagens hockend, bin ich von den zahlreichen anderen schwarz gekleideten Frauen nicht zu unterscheiden. Bei Interviews auf den Straßen prallt mir aber trotzdem ein feindliches Jemen entgegen: Ein Bärtiger deutet an, er wird mir die Gurgel durchschneiden. Ein anderer filmt mich unentwegt. "Lass Dich nicht filmen!", rät mir der besorgte Übersetzer. "Man weiß hier nie!"

Wenn es längst dunkel ist, lausche ich an meinen Hotelfenster dem Ruf zum Gebet. Auf der anderen Straßenseite liegt die für mich verbotene Altstadt. Einmal ging ich trotz allem tagsüber dorthin, versteckt unter meiner Nikab. Eine alte jemenitische Händlerin sagte mir: "Keine Sicherheit hier. Und ohne Sicherheit gibt es kein Leben..."

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