„Italien zuerst“ schürt in der EU Angst vor neuer Eurokrise
Eine populistische Partei in einer EU-Regierung – schwierig, aber zu meistern. Doch eine noch nie da gewesene Liaison zwischen Populisten und Vertreter der extremen Rechten, wie sie Italiens Fünf Sterne-Bewegung mit der fremdenfeindlichen Lega nun eingeht, das treibt in Brüssel nicht nur den Finanzexperten die Sorgenfalten auf die Stirn.
„Italien ist für die Europäische Union von größter Wichtigkeit“, mahnt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Genau deswegen lassen die Schockwellen, die derzeit von Rom ausgehen, in der Schalt- und Waltzentrale der EU derzeit niemanden unberührt. „Italien kann sich zu einem Problemfall wie Griechenland auswachsen, nur viel, viel größer“, befürchtet ein Ökonom in der EU-Kommission im KURIER-Gespräch.
Die toxische Mischung ergibt sich aus zwei euro-skeptischen Parteien, die Wirtschaftspläne vorlegen, als gäbe es kein morgen: Steuersenkungen auf eine Flat tax von 15 bis 20 Prozent, ein staatlich finanziertes Grundeinkommen, früherer Pensionseintritt und viele weitere Versprechungen. In Summe würden diese Wohltaten zwischen 86 und 120 Milliarden Euro kosten. Geld, das der schwer verschuldete italienische Staat nicht hat. Und auch nicht aufnehmen bzw. ausgeben darf, wenn die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums nicht die gemeinsamen Regeln der EU aufs Gröbste verletzen will. Erste Mahnungen aus Paris und Brüssel wies Lega-Chef Salvini barsch zurück: „Italien zuerst“, lautete die Antwort.
Und sie könnte bedeuten: Mit ihrer radikalen Abkehr vom Sparkurs droht sich die neue Regierung in Rom von den zentralen Grundsätzen und Verträgen der EU zu verabschieden. Die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die eine Höchstgrenze für die Staatsverschuldung und das Defizit festlegen – sie müssten neu diskutiert werden, regte Fünf Sterne-Chef Luigi Di Maio an.
Der Hebel der Märkte
Die Gefahr dabei: „Wenn Italien dieses Programm auf Dauer durchziehen würde, hätte das ganz schnell negative Auswirkungen auf die gesamte Eurozone“, analysiert Bert Van Roosebeke. Der Finanzexperte vom Think Tank Centrum für Europäische Politik (cep) sieht keine Möglichkeit für Brüssel, die populistischen Koalitionäre in Rom mit Strafen zu stoppen. Die gesamte EU – sie beruht auf dem Willen zum Konsens.
Scheren Staaten etwa nach dem Beispiel Ungarns oder Polens aus, hat Brüssel kaum Handhabe gegenzusteuern. „Das Verhängen von Bußgeld wäre nicht glaubwürdig und würde auch viel zu lange dauern. Der einzige Hebel liegt bei den Märkten. Man kann nur hoffen, dass man sich durch den Anstieg der Zinsen dann auch in Rom der Probleme gewahr wird“, sagte Ökonom Roosebeke.
Die vielen faulen Kredite der italienischen Banken und die Verschuldung von 132 Prozent (gemessen am BIP) sorgen bei Brüssels Ökonomen ohnehin stets für ein Magenflattern. Stürzt Italien, so die Angst der Wirtschaftsexperten, könnte es die gesamte Eurozone mit in den Abgrund reißen. Deshalb galt bisher die Devise: Es darf nicht passieren. Denn „Italien sei zu groß zum Scheitern“.
So lange die Regierung von Italiens Präsident Mattarella nicht bestätigt ist, hält sich die EU-Kommission mit Kommentaren zurück. Auch Roosebeke hofft: „Vielleicht kann Präsident Mattarella noch Einiges abwehren.“
Doch Porzellan hat die Populisten-Koalition in Rom schon zerschlagen, noch ehe sie angelobt ist: So schwindet in Brüssel die Hoffnung, die angepeilte Einigung bei der Euro-Reform zu finden. Beim EU-Gipfel Ende Juni wollten Frankreich und Deutschland endlich die Weichen für dringend notwendige Reformen der Eurozone stellen. „Jetzt aber könnte sich Deutschland in seinem Widerstand bestätigt sehen“, glaubt Roosebeke. Nämlich mit der Sorge, mit deutschen Steuermilliarden in der Eurozone die Fehler anderer EU-Staaten ausgleichen zu müssen.
An der Entschlossenheit der Fünf Sterne- und Lega-Koalition, diesen in Brüssel so umstrittenen Weg einzuschlagen, zweifle er nicht, bestätigt indes ein EU-Kommissionsbeamter aus Italien dem KURIER: „Die Frage ist, wie weit sie damit kommen. Und wenn sie es nicht durchsetzen können, werden sie sagen: Wie wollten es ja, aber die EU hat uns gehindert.“
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