Hafen-Sperre in Italien: "Keine Lösung"

Maltesische Schiffe in einem Hafen in Kalabrien.
Italiens Drohung, keine Schiffe mit Flüchtlingen mehr anlanden zu lassen, sorgt für heftige Kritik.

Landeverbot für Schiffe voll mit Hunderten Flüchtlingen – die jüngste Drohung der italienischen Regierung sorgt für Aufregung in der eskalierenden Flüchtlingskrise im Mittelmeer. Zirka 12.500 Migranten sind binnen weniger Tage nach Italien gekommen. In Rom ist Feuer am Dach, auch weil die Fluchtsaison 2017 erst an ihrem Anfang steht. Also drohte man der EU, die Häfen für Schiffe zu schließen, die gerettete Flüchtlinge transportieren.

Mit seinen Seegrenzen ist die Bewältigung der derzeitigen Krise für Italien eine Mammutaufgabe, die Küstenwache, eine Mission der EU-Grenzagentur FRONTEX, eine EU-Mission sowie NGOs bewältigen. Unter letzteren ist es vor allem die zivile Rettungsorganisation SOS-Méditerranée, die in Kooperation mit "Ärzte ohne Grenzen" agiert und mit dem Schiff Aquarius im Mittelmeer Schiffbrüchige rettet.

Verena Papke von SOS-Méditerranée betonte indes gegenüber dem KURIER, dass man den Einsatz in Kooperation mit den italienischen Behörden fortsetzen werde. Bisher habe man keine offiziellen Informationen über eine Schließung erhalten. Eine etwaige Umsetzung einer solchen Maßnahme, will sie nicht breit kommentieren. Es handle sich um Spekulationen, auf die man sich nicht einlassen wolle. Nur so viel: "Ich weiß nicht, wie eine solche Maßnahme aussehen soll, da sie nicht mit internationalem Recht vereinbar ist und nicht die Lösung des Problems sein kann."

Rechtslage

Die Seenotrettung ist eine menschenrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtung, die im Internationalen Seerecht geregelt ist, erklärt Völkerrechtler Stefan Salomon von der Karl-Franzens-Universität Graz dem KURIER. Und dieses Recht gilt für staatliche und private Akteure wie NGOs, sagt Salomon. Sie sind verpflichtet, Menschen in einen sicheren Hafen zu bringen.

Allerdings gäbe es kein völkerrechtliches Abkommen, aufgrund dessen die nach dem Seerecht zu Rettenden in den nächsten Hafen (next port of call) gebracht werden müssen und dort an Land zu nehmen sind, erklärt Wolfgang Benedek, Völkerrechtsexperte aus Graz. "Eine solche Regel besteht allenfalls nach dem Völkergewohnheitsrecht. Im Fall einer Massenfluchtbewegung stellt sich aber auch die Frage der zumutbaren Belastung."

Verpflichtet sind Staaten dort, wo das rettende Schiff aufgrund der Belastung einer großen Zahl von Menschen, die ärztliche und sonstige Versorgung benötigen, selbst in Seenot geraten könnte. Zum Beispiel wenn es einen weiter entfernt liegenden Hafen ansteuern müsste, was oft vorkommt. "Italien ist nicht in jedem Fall, wohl aber in den meisten Fällen verpflichtet Schiffe mit geretteten Schiffbrüchigen anlanden zu lassen", sagt Benedek.

Ähnlich sieht es auch Adel-Naim Reyhani, Asylrechtsexperte am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte: "Wenn klar ist, dass es sich bei den Personen um Asylsuchende handelt und keine praktischen Alternativen für die Schiffe bestehen, einen nahegelegenen Hafen eines anderen Staates anzufahren, wo sie in Sicherheit wären sowie für sie keine Gefahr einer Verletzung des Verbots der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht, trifft Italien insbesondere aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention die Pflicht, die Schiffe einlaufen zu lassen und die Asylanträge ordentlich zu prüfen."

Würde Italien seine Drohung wahr machen und die Häfen schließen, müssten die Schiffe nach Malta, Spanien, Zypern oder Griechenland ausweichen. Argumentieren könnte Italien mit Notstand – "wenn Sicherheit und öffentliche Ordnung gefährdet ist", erklärt Stefan Salomon.

Kein Pull-Faktor

Vorwürfe, die Seerettung sei zu einem Pull-Faktor für Flüchtende geworden, weist Verena Papke von SOS-Méditerranée zurück. Auch zuvor seien Menschen geflohen und Statistiken würden belegen, dass die Ausweitung von Rettungskapazitäten sich nicht auf die Zahl der Flüchtenden auswirke. Der Rückgang von Rettungskapazitäten führe schlicht zu mehr Toten im Mittelmeer. Viel eher wollten sich Politiker und EU-Institutionen mit solchen Vorwürfen aus der eigenen Verantwortung ziehen. "Es ist die Verantwortung aller europäischen Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Antwort auf die Tragödie zu finden, die sich vor den Grenzen Europas abspielt", sagt Papke.

"Unhaltbar" sei die Lage in Italien, das gesteht auch EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos ein: Mehr als 12.500 Migranten, die allein in den vergangenen fünf Tagen in Italien ankamen, mehr als 80.000 seit Jänner.

Doch die Antwort Brüssels auf die Drohung der Regierung in Rom, künftig keine Hilfsschiffe mit geretteten Flüchtlingen mehr in Italien landen zu lassen, ist die stets gleiche in der Flüchtlingsfrage: Mehr finanzielle Unterstützung für Italien; Mahnungen an die anderen 27 EU-Staaten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen – bisher wurden erst rund 7300 Asylsuchende im Rahmen des EU-Umsiedlungsprogramm in andere EU-Staaten gebracht. Das entspricht einem Fünftel der vereinbarten Zahlen. (In Österreich ist laut Stand von heute noch kein Flüchtling aus Italien angekommen).

Aufhorchen ließ gestern nur die Ankündigung einer Sprecherin der EU-Kommission: Die privaten Hilfsorganisationen, die Migranten retten, "müssen die Chance bekommen, sich vorzubereiten, wenn Italien seine Politik ändert."

Ob Italien tatsächlich den NGOs und deren Flüchtlingsbooten das Landen an den Küsten verbietet, wird ein Thema beim nächsten Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag in Tallinn sein. Mehrere von ihnen – Österreichs Innenminister Sobotka ist einer davon – fordern: Die Mittelmeerroute muss für Flüchtlinge geschlossen werden. Doch umstritten ist nach wie vor, wie dies erreicht werden könnte bzw. ob dies überhaupt möglich ist.

Vorwurf an die Retter

Als einen Schuldigen für das Ansteigen der Flüchtlingszahlen über die Mittelmeerroute haben Kritiker die Hilfsorganisationen ausgemacht. Der Vorwurf: Allein dadurch, dass die libyschen Schleuser wüssten, dass die NGOs in den internationalen Gewässern die Flüchtlinge retten, würden die Schlepper immer mehr Menschen in Boote setzen.

Doch die Rechnung – die Helfer am Helfen hindern und dadurch den Flüchtlingsstrom einbremsen – geht so nicht auf. Das legen zumindest wissenschaftliche Studien nahe (www.law.ox.ac.uk). Diese kamen zum Schluss, dass die Migranten auf jeden Fall in die Boote steigen, egal, ob viele oder wenige Hilfsorganisationen sie aufgreifen würden. Einziger nachweisbarer Nebeneffekt: Ohne die privaten Hilfsorganisationen schnellten die Todesraten sofort in die Höhe.

In Brüssel wiederholt man indes gebetsmühlenartig: Die Küstenwache in Libyen soll mit EU-Hilfe verstärkt, die Flüchtlingsströme nach Libyen sollen bereits von Niger, Mali und Ägypten aus gebremst, die freiwilligen Rückführungen sollen vorangetrieben werden. Der Effekt bisher: Tatsächlich erheblich weniger Neuankommende in Libyen, vor allem von Niger aus. Aber weiterhin steigende Migrantenzahlen über das Mittelmeer.

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