Istanbul: "Terrorprozess" gegen 17 regierungskritische Journalisten

Die Redaktion wird streng bewacht, die Mitarbeiter kämpfen für Demokratie
Ab heute stehen die Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet" vor Gericht. Der KURIER besuchte ihre Redaktion.

Wenn Faruk Eren, Büroleiter der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, aus seinem Fenster schaut, sieht er hinter Baumwipfeln den überdimensional großen Justizpalast von Çağlayan.

Von dort aus droht seiner Redaktion seit Monaten Unheil, das heute, Montag, einen einstweiligen Höhepunkt finden wird: 17 Mitarbeitern seiner Zeitung – eines der wenigen verbleibenden regierungskritischen Medien im Land – wird dann der Prozess gemacht.

Und zwar wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, ohne deren Mitglied zu sein". Zwölf der Mitarbeiter sitzen in Untersuchungshaft, die meisten bereits seit neun Monaten.

Große Anspannung

In der Redaktion der traditionsreichen Zeitung, die von Staatsgründer Atatürk 1924 getauft worden ist, merkt man die Anspannung. Durch einen hohen Zaun und bis an die Zähne bewaffnetes Sicherheitspersonal wird das Gebäude bewacht, vor der Tür stehen Polizisten und Panzerfahrzeuge.

Wer die Redaktion besuchen möchte, braucht einen Termin und muss sich einer Sicherheitskontrolle unterziehen. Die Cumhuriyet, einst Sprachrohr des laizistischen Staates, ist im Visier der islamischen Regierung.

Istanbul: "Terrorprozess" gegen 17 regierungskritische Journalisten
Faruk Eren, Cumhuriyet, Türkei

"Unsere Zeitung stand immer unter großem Druck", sagt Eren mit Blick auf die Vergangenheit.

"Nach dem Putsch von 1980 war sie mit Repressalien konfrontiert, zwei Männer, die hier geschrieben haben, fielen in den 90er-Jahren Attentaten zum Opfer. 2006 wurde eine Handgranate auf die Redaktion geworfen, immer wieder wurden Mitarbeiter verhaftet und nachdem wir eine Solidaritätsausgabe für die Kollegen von Charlie Hebdo (französische Satire-Zeitschrift, die 2015 Ziel eines islamistischen Anschlags wurde, Anm.) herausgegeben hatten, wurden wir von radikalen Muslimen bedroht."

Dennoch ist es heute anders, immerhin ist fast jeder zehnte Mitarbeiter in Haft oder muss sich ab heute vor Gericht verantworten. Als Beweismittel gelten etwa Ausgaben der Cumhuriyet, Kolumnen und Artikel der Angeklagten. Also in erster Linie das Ergebnis ihrer journalistischen Tätigkeit.

Ebenfalls als Beweis gilt es, wenn die Mitarbeiter Anrufe von Personen erhalten haben, die eine bestimmte App benutzen. Auch, wenn die Anrufe nachweislich nicht angenommen wurden.

Der Fall wird die gesamte Woche verhandelt. Ein Urteil ist dann allerdings noch nicht zu erwarten. Aber Eren hofft für seine Kollegen, dass sie Freitagabend wenigstens aus der Haft entlassen werden und sie das Prozessende nicht hinter Gittern abwarten müssen.

"Risiko lohnt sich"

Eren befürchtet, dass es jeden Moment weitere Mitarbeiter verhaftet werden könnten. Trotz allem erscheint die Cumhuriyet nach wie vor jeden Tag, auch sonntags. "Unter den gegebenen Umständen ist das nicht immer einfach, aber wir tun, was wir können", so Eren und fügt hinzu: "Für die Demokratie lohnt es sich, das Risiko Gefängnis einzugehen".

Eren muss sich wegen einer Solidaritätsbezeugung mit einer mittlerweile verbotenen Zeitung selber vor Gericht verantworten, daher weiß er: "Wir sind hier alle bereit, diesen Preis zu bezahlen." Schließlich "möchte niemand in einem Land leben, in dem der Kampf um die Demokratie verloren ist".

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