Ganz allein versuchten Lavis Kinder, die Tür des Schutzraumes zu schließen. Doch die Leiche des Vaters versperrte den Rahmen. Über WhatsApp alarmierte Lavi ihren Schwager. Er saß in der Nachbarschaft im eigenen Schutzraum. Mit einer Pistole schlich er sich zum Haus der Kinder, dort harrte er stundenlang aus, bis die Armee sie endlich rettete. Doch für Hunderte andere, vom Terror völlig überraschte Israelis kam jede Hilfe zu spät.
Verschleppte 85-Jährige
Gleich nebenan in Nir Oz wurde die 85-jährige Jaffa Hadad als Geisel verschleppt. Deutlich ist sie auf einem Clip in den sozialen Netzwerken zu sehen. „Alle sagen, ihr Lächeln zeige Demenz“, schluchzt ihre Tochter, „aber sie ist geistig hellwach. So lächelte sie auch, als sie sich weigerte, nach früheren Raketen-Angriffen in Sicherheit gebracht zu werden.“
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Die Regierung von Katar versucht bereits auf die Schnelle einen Austausch weiblicher Geiseln zu vermitteln: Verurteilte Hamas-Attentäterinnen aus israelischen Gefängnissen gegen Alte und Mütter mit Kindern. Israels Regierung bestätigte das nicht. Sie hat einen Sonderbeauftragten für die Geiselbefreiung ernannt.
Mehr als 800 Tote
Wie groß die Zahl der nach Gaza Verschleppten ist, bleibt weiter unklar: Weit über 100 sollen es sein. Und die Angehörigen der Vermissten, der Todesopfer, der Verschleppten fragen immer wieder – schreiend, schluchzend: „Wo ist diese Regierung? Niemand ruft uns an. Niemand kümmert sich.“ Premier Benjamin Netanjahu, sonst mit sonorem Bariton fast täglich auf Facebook, schweigt. Seit Samstag mit der eher lakonisch klingenden Mitteilung zum Kriegsausbruch wurde er nicht mehr gehört.
Immer höher klettert auch die Zahl der Toten – mindestens 800 sind es bisher. „Wir entdecken stündlich neue Gräuel“, berichtet ein Soldat der israelischen Suchtruppen, „ganze Familien verbrannten in den Schutzräumen. In einigen Kibbuzdörfern sind fast alle Häuser ausgebrannt.“ Weit mehr als 2.600 Verletzte mussten behandelt werden. Alle Intensiv-Stationen des Landes sind überfüllt.
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Blutbad beim Festival
Auch auf dem Gelände eines Musikfestivals, das am Samstag nahe des Gazastreifens stattfand, suchen verzweifelte Familien noch immer nach ihren Angehörigen. „Ich weiß nicht, ob meine Tochter irgendwo blutend liegt, ich weiß nicht, ob man sie nach Gaza verschleppt hat, ich weiß nicht, ob sie leidet“, sagte Ahuwa Maizel der Nachrichtenagentur dpa. Das letzte Mal als Maizel mit ihrer Tochter sprach, sei am Samstag um kurz nach sieben Uhr früh gewesen. Ihre Tochter Adi habe angerufen und geschrien: „Hier ist ein Massaker, sie richten ein Massaker an, Hunderte Terroristen schießen um sich.“ Dann war die Verbindung weg.
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Stundenlang feuerten die Terroristen auf alles, was sich bewegte, holten Flüchtende aus den Autos, schossen sie nieder, schlitzen einem vorbeifahrenden Flüchtenden auf einem Motorrad die Kehle auf. Festivalbesucher versteckten sich in Büschen und Bäumen. „Sie gingen von Baum zu Baum und schossen. Ich sah, dass überall Menschen starben“, sagte eine Überlebende.
Israelischen Medien zufolge sollen viele der jungen Frauen vergewaltigt worden sein, ehe sie getötet oder verschleppt wurden. Bis Sonntagabend zählten die Sanitäter 260 Leichen auf dem Festivalgelände.
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