Israel greift nach Raketenbeschuss Ziele im Gazastreifen an
Konfrontationen auf dem Tempelberg in Jerusalem haben die Sorge vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten verstärkt. In der Nacht auf Mittwoch waren auf dem Gelände des Tempelbergs israelische Sicherheitskräfte mit Dutzenden Palästinensern zusammengestoßen. Nach Angaben der Polizei wurden rund 350 Menschen festgenommen. Sie hätten sich in der Al-Aqsa-Moschee verbarrikadiert sowie Feuerwerkskörper gezündet und Steine geworfen, hieß es am Morgen von einer Sprecherin.
Berichten zufolge setzte die Polizei Tränengas, Schlagstöcke und Blendgranaten auf dem Tempelberg (Al-Haram al-Sharif) ein, um die Moschee zu räumen. Nach Angaben des Rettungsdienstes Roter Halbmond wurden rund 40 Palästinenser durch Schläge und Gummigeschosse der Polizei verletzt. Sie erlitten demnach Prellungen am ganzen Körper. Zwei davon mussten den Angaben nach im Krankenhaus behandelt werden. Ein Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas verurteilte das Vorgehen. Er warnte davor, "die roten Linien an den heiligen Stätten zu überschreiten", wie die Nachrichtenagentur WAFA berichtete. Dies könne zu einer "großen Explosion" führen. Kritik kam auch aus Jordanien, Ägypten, Saudi Arabien und der Türkei. Nach Polizeiangaben blieb es tagsüber ruhig in Jerusalem.
UN "entsetzt über die Bilder der Gewalt"
Der UNO-Gesandte Tor Wennesland äußerte sich "entsetzt über die Bilder der Gewalt". Die Schläge gegen Palästinenser sowie die hohe Zahl der Verhaftungen seien "beunruhigend". Gleichwohl verurteilte er die Verwendung von Steinen und Feuerwerkskörpern gegen die Einsatzkräfte. "Führende Politiker auf allen Seiten müssen verantwortungsbewusst handeln und Schritte unterlassen, die die Spannungen verschärfen könnten", forderte er.
Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, John Kirby, sagte, man sei "weiterhin äußerst besorgt über die anhaltende Gewalt an der Al-Aqsa-Moschee". Israelis und Palästinenser müssten die Spannungen "unbedingt deeskalieren". Auch die deutsche Regierung rief zu Deeskalation auf. Alle, die Einfluss auf die Lage hätten, stünden in der Verantwortung, "dass jetzt kein weiteres Öl ins Feuer gegossen" werde, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Wegen des Status als besetztes Gebiet gelte für das Handeln israelischer Stellen in Ostjerusalem das humanitäre Völkerrecht, das sowohl die Pflicht zur Sicherung der öffentlichen Ordnung als auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit beinhaltet, erklärte der Sprecher. Zugleich wisse man, dass auch am Tempelberg "immer wieder leider auch Akteure, Gruppen mit provokativen Absichten zugange sind, sowohl von palästinensischer als auch von israelischer Seite".
"In allen Bereichen in höchster Alarmbereitschaft"
Als Reaktion auf den israelischen Einsatz feuerten in der Nacht radikale Palästinenser aus dem Gazastreifen mindestens zehn Raketen auf israelisches Gebiet ab. Nach Militärangaben wurden fünf davon abgefangen, vier landeten auf offenem Gelände und eine nahe einer Fabrik in der israelischen Stadt Sderot. Am frühen Morgen griff Israel daraufhin mehrere Ziele in dem Küstenstreifen an. Darunter waren ein Militärgelände sowie ein Militärposten des bewaffneten Flügels der dort herrschenden Hamas. "Die Bombardierung wird uns nicht einschüchtern", sagte ein Sprecher der Palästinenserorganisation. Gaza werde weiterhin die Menschen in Jerusalem und dem Westjordanland "mit allen Mitteln" unterstützen.
Ein Sprecher der Armee sagte, das Militär sei "in allen Bereichen in höchster Alarmbereitschaft". Auf einen Angriff aus Gaza werde entschieden reagiert. "Wir sind nicht an einer Eskalation interessiert, aber wir sind auf jedes Szenario vorbereitet." Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir lobte das Vorgehen der Sicherheitskräfte in Jerusalem und forderte ein härteres Vorgehen gegen Angriffe aus Gaza: "Die Raketen der Hamas erfordern eine Reaktion, die über die Bombardierung von Dünen und unbewohnten Orten hinausgeht. Es wird Zeit, in Gaza Köpfe abzureißen", schrieb er auf Twitter. Kritische Worte fand dazu Kanadas Premierminister Justin Trudeau: Er sei äußerst besorgt über die "aufgeheizte Rhetorik der israelischen Regierung". Diese müsse ihre Haltung ändern.
In den vergangenen Jahren kam es auf dem Gelände um die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem immer wieder zu gewalttätigen Konfrontationen. Im Jahr 2021 eskalierte die Situation zu einem elftägigen Konflikt zwischen Israel und der Hamas. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen.
Vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan war eine Verschärfung der ohnehin angespannten Sicherheitslage im Land befürchtet worden. Aktuell kommen besonders viele Muslime zum Tempelberg, um während des Fastenmonats dort zu beten. Am Mittwoch begann zudem das einwöchige jüdische Pessachfest. Einer der Bräuche ist dabei eine Wallfahrt nach Jerusalem.
Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten ist seit langem extrem angespannt. Seit Beginn des Jahres wurden 14 Israelis und eine Ukrainerin in Zusammenhang mit palästinensischen Anschlägen getötet. Im gleichen Zeitraum kamen 91 Palästinenser ums Leben - sie wurden etwa bei Konfrontationen mit der israelischen Armee oder nach eigenen Anschlägen erschossen.
Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.
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