Israels arabische Bevölkerung traut sich noch nicht, zu hoffen

People walk at Nabatieh market that reopened after it was destroyed during the last war between Israel and Hezbollah, in Nabatieh
Zu Besuch in einem arabischen Viertel der israelischen Hafenstadt Haifa, das in diesen Tagen besonders still ist. An einen langfristigen Frieden will noch niemand so recht glauben.

Von Markus Ponweiser aus Haifa

Ein Freitagmorgen wie jeder andere in Wadi Nisnas, einem der arabischen Viertel von Haifa. Die Barbiere rasieren ihre Kunden mit chirurgischer Präzision, in den Fleischereien bilden sich kleine Schlangen. Männer tragen Kisten, aus den Cafés riecht es stark. Zwischen hupenden Lieferwagen und den Stimmen der Händler wirkt der Stadtteil wie in Bewegung gehalten von einer Routine, die sich selbst genügt.

Ein jüdischer Kunde ruft einem arabischen Ladenbesitzer zu: „Wie laufen die Geschäfte?“ – „Habibi!“, antwortet der lachend und zieht ihn in eine Umarmung. Eine alltägliche Szene, freundlich, routiniert, beinahe unbeeindruckt von allem, was draußen passiert.

Das Ende des Krieges ist Thema, aber selten Gespräch. Die Menschen gehen zur Arbeit, öffnen ihre Läden, verkaufen Obst und Fleisch – und sprechen lieber über Preise und Familie. Denn sobald das Gespräch auf das Kriegsende  kommt, wird es still. Viele winken ab, einige wechseln das Thema. 

"Ich bin froh, nicht mehr täglich von Toten lesen zu müssen"

In den vergangenen Monaten wurden mehrere arabische Israelis wegen tatsächlicher oder angeblicher „Glorifizierung der Hamas“ festgenommen, meist wegen Beiträgen in sozialen Medien. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, sitzt immer noch tief, auch gegenüber der ausländischen Presse. Wer nachfragt, bekommt oft nur ein schüchternes Lächeln oder eine diplomatische Antwort wie: „Wir wollen nur Ruhe.“

Ein paar Straßen weiter, in einem kleinen Café in der Nähe des Hafens, sitzen Yara und Amara, beide Mitte zwanzig. Vor ihnen stehen Cappuccino und Croissants auf dem Tisch, Yara hebt für das Foto die Tasse, Amara drückt auf den Auslöser. Sie lachen, sehen sich das Bild an, machen noch eines. 

Dann erzählt Yara: „Ich bin froh, dass ich nicht mehr täglich lesen muss, wie viele Menschen heute wieder in Gaza gestorben sind.“ Aber ihre Wünsche hätten sich nicht geändert: „Ich will weiterhin Psychologin werden und Menschen helfen, vielleicht jetzt mehr als zuvor.“ 

Amara nickt. Sie kennt niemanden in Gaza persönlich, sagt sie, aber einige Bekannte hätten Familie dort gehabt. „Es war eine schlimme Zeit“, fügt sie leise hinzu, und für einen Moment schweigen beide. Dann sagt sie, sie wolle eigentlich nicht viel dazu sagen. Man habe in den letzten Monaten ohnehin genug darüber gesprochen. „Ich bin einfach froh, dass es vorbei ist“, sagt sie schließlich, fast entschuldigend. Dann lehnen sie sich zurück, nippen an ihrem Kaffee, sehen auf ihre Telefone. Ihre Stimmen fügen sich ein in die Zurückhaltung, die man in diesen Tagen spürt.

Eine Pause, aber keine Vision, kein Ausblick, keine Garantie

Von Euphorie über das Ende des Krieges ist kaum etwas zu merken. In Gaza wird das Ende des Leidens gefeiert, in Tel Aviv versammeln sich die Angehörigen der Geiseln zu einer Kundgebung der Erleichterung. Hier, in Haifa, läuft das Leben weiter, fast wie immer. 

Zu vage sind die genauen Bedingungen des Waffenstillstandes, zu offen, was danach kommt. Er bedeutet vor allem eines: eine Pause. Keine Vision, kein Ausblick, keine Garantie. Viele nehmen ihn zur Kenntnis, ohne zu glauben, dass sich etwas Grundsätzliches ändert.

Am Donnerstag besuchte eine fünfzigköpfige jüdisch-arabische Friedensdelegation aus Israel Palästinenserführer Mahmud Abbas in Ramallah. In ihrer Erklärung sprachen sie von einer „historischen Möglichkeit“, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und davon, dass nach Jahren des Stillstands endlich Hoffnung auf eine politische Lösung bestehe – auf Sicherheit, Gleichheit, Freiheit und Frieden für beide Völker.

Auf den Straßen von Haifa klingt das nach großen Worten. Die meisten hier sehnen sich nicht bloß nach Ruhe, sondern danach, dass diese Begriffe eines Tages mehr sein werden als diplomatische Floskeln – und dass es wieder Politiker gibt, die bereit sind, sie in die Tat umzusetzen. Nicht nur eine Pause vom Krieg, sondern ein Anfang von etwas Dauerhaftem.

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