Haftbefehl gegen Netanjahu: Von Jubel bis Empörung

Haftbefehl gegen Netanjahu: Von Jubel bis Empörung
Während die USA und Ungarn den Haftbefehl gegen den israelischen Premier als "empörend" und "absurd" bezeichnen, würden andere Länder Netanjahu verhaften lassen. Einige stecken in der Zwickmühle.

Der Internationale Strafgerichtshof hat gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sowie den erst kürzlich entlassenen israelischen Verteidigungsminister Joav Galant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg einen Haftbefehl erlassen.

Auch gegen einen Anführer der Terrororganisation Hamas - Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, bekannt unter dem Nachnamen Deif - erließen die Richter in Den Haag einen Haftbefehl. Er soll in das Massaker mit rund 1.200 Toten vor über einem Jahr in Israel verwickelt sein, das den Gaza-Krieg auslöste. Allerdings ist unklar, ob der vom israelischen Militär für tot erklärte Hamas-Kommandeur überhaupt noch am Leben ist. Die Hamas hat seinen angeblichen Tod nie bestätigt.

Vor allem der Haftbefehl gegen Israels Regierungschef spaltet die Welt.

Schallenberg: "Nicht nachvollziehbar"

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kritisierte die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant als "unverständlich und nicht nachvollziehbar". Es wirke "abstrus, eine Äquivalenz zwischen Mitgliedern einer demokratisch gewählten Regierung und dem Anführer einer Terrororganisation herzustellen", betonte Schallenberg in einer Stellungnahme. "Bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes wird mit dieser Entscheidung dem Völkerrecht ein Bärendienst erwiesen und die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs beschädigt."

Österreich als Vertragspartei ist völkerrechtlich verpflichtet, Haftbefehle des IStGH umzusetzen, erläuterte eine Sprecherin des Außenministeriums. Die Frage einer Einreise sei allerdings "rein hypothetischer Natur: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass gesuchte Personen in einen der IStGH-Vertragsstaaten reisen und sich dem Risiko einer Festnahme aussetzen würden."

USA: "Werden immer an der Seite Israels stehen"

US-Präsident Joe Biden bezeichnete die internationalen Haftbefehle als "empörend". Die USA erkennen wie Israel den Internationalen Strafgerichtshof grundsätzlich nicht an. "Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Was auch immer der Internationale Strafgerichtshof andeuten mag, Israel und die Hamas sind nicht gleichwertig - überhaupt nicht“, sagte Biden. "Wir werden immer an der Seite Israels stehen, wenn seine Sicherheit bedroht ist." Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, die USA würden keinen Haftbefehl vollstrecken.

Ungarn will Haftbefehl ignorieren

Ungarn, das anders als die USA den Strafgerichtshof anerkennt und den Haftbefehl eigentlich vollstrecken müsste, ging noch weiter. Ministerpräsident Viktor Orban kündigte demonstrativ eine Einladung Netanjahus zu einem Besuch an. Die Entscheidung des IStGH sei „zynisch“ und stelle eine „Einmischung in einen laufenden Konflikt zu politischen Zwecken“ dar, sagte Orban im ungarischen Staatsrundfunk.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto bezeichnete die Haftbefehle als „schändlich und absurd“. 

Kritik an dem Haftbefehl kam auch aus Argentinien. "Israel ist brutalen Aggressionen, unmenschlichen Geiselnahmen und wahllosen Angriffen auf seine Bevölkerung ausgesetzt. 

Die legitime Verteidigung einer Nation zu kriminalisieren und gleichzeitig diese Gräueltaten auszublenden, ist ein Akt, der den Geist der internationalen Gerechtigkeit verfälscht", schrieb der argentinische Präsident Javier Milei auf X. 

Deutschland in der Zwickmühle

Die deutsche Bundesregierung äußerte sich zunächst nicht, sie befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits unterstützt sie Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Terrorüberfall der Hamas vor gut einem Jahr, andererseits plädiert sie stets für ein robustes internationales Rechtssystem mit verbindlichen Regeln.

Frankreich wollte sich nach Angaben eines Sprechers des Außenministeriums noch nicht festlegen, ob man Netanyahu tatsächlich festnehmen würde. Die Frage sei rechtlich kompliziert, hieß es.

Iran und Palästinenser feiern

Der Iran begrüßte die Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant hingegen. "Das ist lobenswert, nur müssen die USA und die Europäer die Haftbefehle auch respektieren und umsetzen", sagte der außenpolitische Berater des geistigen Führers Ayatollah Ali Chamenei, Kamal Charrasi.

Die Entscheidung des Gerichts in Den Haag sei auch beschämend für den Westen, der Israels Handeln im Gazastreifen und im Libanon uneingeschränkt unterstützt habe. Die Hamas bezeichnete die Entscheidung als "wichtigen historischen Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk."

Auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland lobte die internationalen Haftbefehle. Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs stelle das Vertrauen in das Völkerrecht und UN-Organisationen wieder her, hieß es in einer Mitteilung der Behörde, die die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa veröffentlichte. Die PA forderte laut der Mitteilung alle Mitgliedsstaaten des Gerichtshofes, zu denen auch Deutschland zählt, auf, "die Entscheidung des Gerichts umzusetzen und Verbrecher vor Gericht zu bringen".

Haftbefehl könnte Netanjahus Reisefreiheit empfindlich einschränken

Die Regierungen der Niederlande und Kanadas ließen hingegen durchblicken, dass die Haftbefehle in ihren Ländern auch vollstreckt würden. "Wir stehen für das Völkerrecht ein und werden uns an alle Vorschriften und Urteile der internationalen Gerichte halten", sagte der kanadische Premier Justin Trudeau auf die Frage, ob die kanadischen Behörden ihrer Pflicht nachkommen und Netanyahu verhaften würden, sollte er das Land betreten.

Auch in Irland würde Netanjahu eine Festnahme drohen, wie Regierungschef Simon Harris der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge sagte.

Sollten andere Staaten ebenso vorgehen, könnte dies die Reisefreiheit des israelischen Regierungschefs empfindlich einschränken.

In Israel selbst

Netanjahu selbst sprach in einer ersten Reaktion von einer "antisemitischen Entscheidung". Sie sei von "voreingenommenen Richtern getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel" getroffen worden, stand in einer Erklärung seines Büros. "Wir werden beschuldigt, die Bevölkerung hungern zu lassen", sagte Netanyahu später in einer Videoansprache.

Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara reagierte wie viele Landsleute empört. "An diesem Tag muss das Offensichtliche gesagt werden: Dem Internationalen Strafgerichtshof fehlt jegliche Autorität in dieser Angelegenheit", zitierte die Zeitung The Times of Israel aus einer Mitteilung. Selbst Netanjahus innenpolitische Gegner verurteilten die Den Haager Beschlüsse.

Ex-Verteidigungsminister Galant schrieb auf der Plattform X, die Haftbefehle gegen ihn und den Ministerpräsidenten schafften "einen gefährlichen Präzedenzfall gegen das Recht auf Selbstverteidigung“.

Borrell: Haftbefehl gegen Netanjahu für EU-Staaten bindend

EU-Chefdiplomat Josep Borrell hingegen bezeichnete den internationalen Haftbefehl gegen Netanjahu als bindend für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Als Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs seien die EU-Länder verpflichtet, die gegen Netanjahu, Galant und Deif verhängten Haftbefehle umzusetzen, sagte er während eines Besuchs in der jordanischen Hauptstadt Amman. 

Es handle sich nicht um eine politische Entscheidung, sondern um einen Gerichtsbeschluss, betonte der Spanier. "Die Entscheidung des Gerichtshofs muss respektiert und umgesetzt werden."

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