IS-Geisel: "Sogar im Gefängnis kann man frei sein"

Kayla auf einer Archivaufnahme.
Die letzten Worte von Kayla Jean Mueller: Die 26-Jährige konnte vor ihrem Tod einen Brief aus der Geiselhaft schmuggeln.

Am Dienstag war es traurige Gewissheit: Die Eltern der 26-jährigen Kayla Jean Mueller mussten den Tod ihrer Tochter bekanntgeben - die junge Frau war seit dem Jahr 2013 in Geiselhaft der Terroristen des "Islamischen Staates" in Syrien gewesen.

„Unsere Herzen sind gebrochen", sagten Carl und Masha Mueller. Dennoch seien sie stolz, denn ihre Tochter habe ein Ziel im Leben gehabt - sie hatte für Hilfsorganisationen in Syrien gearbeitet, als sie verschleppt worden war. "Wir werden jeden Tag daran arbeiten, ihr Erbe zu ehren." Ob die 26-Jährige - wie von den Terroristen behauptet - während eines Luftschlages der jordanischen Armee ums Leben gekommen ist oder ob sie von den Extremisten selbst umgebracht wurde, ist nach wie vor ungewiss.

Zeitgleich mit der Todesmeldung veröffentlichten Kaylas Eltern einen Brief, den ihre Tochter aus der IS-Geiselhaft schmuggeln konnte – geschrieben hatte ihn die junge Frau bereits vergangenes Jahr - es sind die letzten Worte, die die junge Frau an ihre Familie richten konnte.

"Habt keine Angst um mich"

Die Zeilen stecken voller Optimismus und Angriffslust: „Ich trage noch eine Menge Kampfbereitschaft in mir“, schreibt Kayla an ihre Familie. Sie ruft ihre Eltern immer wieder dazu auf, nicht aufzugeben. Sie sei unverletzt, gesund und würde mit Respekt behandelt, beruhigt sie ihre Lieben - denn „sogar im Gefängnis kann man frei sein“.

Die 26-Jährige vertraut in ihrem Schreiben immer auf eines – ihren Glauben: „Habt keine Angst um mich, betet weiterhin, wie ich es auch tun werde + so Gott will, werden wir bald wieder zusammen sein“, lauten ihre letzten Zeilen.

(Den Volltext finden

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Der Brief im Volltext:

Ihr alle, wenn ihr diesen Brief erhaltet, heißt das, dass ich weiterhin gefangen gehalten werde, aber meine Mithäftlinge (ab dem 11.02.2014) freigelassen worden sind. Ich habe sie gefragt, ob sie euch kontaktieren können + euch diesen Brief schicken. Es ist schwer, zu wissen, was ich sagen soll.

Bitte wisst, dass ich an einem sicheren Ort bin, komplett unverletzt + gesund (habe sogar zugenommen); ich bin mit dem höchsten Respekt + Freundlichkeit behandelt worden. Ich wollte euch allen einen wohlüberlegten Brief schreiben (aber ich wusste nicht, ob meine Mithäftlinge in den kommenden Tagen oder Monaten entlassen werden, das begrenzt hauptsächlich meine Zeit) Ich konnte den Brief nur Absatz für Absatz schreiben, schon der Gedanke an euch alle versetzt mich in einen Tränen-Anfall.

Wenn man sagen könnte, dass ich überhaupt „gelitten“ habe durch diese ganze Erfahrung, dann nur, weil ich weiß, wie viel Leid ich euch zugefügt habe; ich werde euch niemals bitten, mir zu verzeihen, da ich keine Vergebung verdiene. Ich erinnere mich daran, dass Mama immer gesagt hat, dass Gott der einzige ist, der einem am Ende alles in allem wirklich bleibt. Ich bin in meiner Erfahrung an einen Punkt gelangt, wo ich, im wahrsten Sinne des Wortes, mich selbst unserem Schöpfer ausgeliefert habe, weil es buchstäblich nichts anderes gab… + durch Gott + durch eure Gebete habe ich mich im freien Fall sanft aufgehoben gefühlt.

Ich habe mich in Dunkelheit und in Licht gezeigt + ich habe gelernt, dass man selbst im Gefängnis frei sein kann. Ich bin dankbar. Ich habe erfahren, dass man in jede Situation etwas Gutes sehen kann, manchmal muss man nur danach suchen. Ich bete jeden, jeden Tag, dass ihr wenigstens eine bestimmte Nähe gespürt habt + ihr Ergebung an Gott gefühlt + ein Band der Liebe geformt + euch untereinander unterstützt habt.

Ich vermisse euch alle so, als ob diese erzwungene Trennung schon seit einem Jahrzehnt bestehe würde. Ich habe einige lange Stunden zum Nachdenken gehabt, zum Nachdenken über all die Dinge, die ich mit Lex tun möchte, unsere erste Familien-Campingtour, das erste Treffen am Flughafen. Ich habe viele Stunden zum Nachdenken gehabt, wie ich als mittlerweile 25-Jährige* schlussendlich nur in eurer Abwesenheit euren Platz in meinem Leben erkennen konnte.

Das Geschenk, das jeder von euch für mich ist, könnte nicht sein, ich könnte nicht die sein, die ich bin, wenn ihr nicht ein Teil meines Lebens wärt, meine Familie, meine Stütze. Ich will NICHT, dass die Verhandlungen über meine Freilassung eure Aufgabe ist, wenn es irgendeine andere Möglichkeit gibt, nutzt sie, auch wenn das mehr Zeit in Anspruch nimmt. Dies hätte niemals zu eurer Bürde werden sollen. Ich habe diese Frauen gefragt, ob sie euch unterstützen; bitte sucht ihren Rat. Wenn ihr das bislang nicht getan habt, (Stelle unkenntlich gemacht) kann (Stelle unkenntlich gemacht) kontaktieren, der/die über ein gewisses Maß an Erfahrung mit diesen Leuten verfügt.

Niemand von uns hätte wissen können, dass es so lange dauern wird, aber glaubt mir, auch ich kämpfe von hier aus und in der Weise, in der es mir möglich ist + ich trage noch eine Menge Kampfbereitschaft in mir. Ich breche nicht zusammen + ich werde nicht aufgeben, wie lange es auch dauern wird.

Ich habe vor Monaten ein Lied geschrieben, in dem es heißt: „Der Teil von mir, der am meisten schmerzt, bringt mich auch aus dem Bett, ohne eure Hoffnung wäre nichts mehr übrig." Der Gedanke an euren Schmerz ist die Quelle meines eigenen Schmerzes, zeitgleich ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit euch die Quelle meiner Stärke. Bitte seid geduldig, gebt euren Schmerz an Gott weiter. Ich weiß, dass ihr wollen würdet, dass ich stark bleibe. Das ist genau, was ich tue. Habt keine Angst um mich, betet weiterhin, wie ich es auch tun werde + so Gott will, werden wir bald wieder zusammen sein.

Alles, was ich habe,

Kayla

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