Iranischer Kommandant zu Abschuss: "Ich wünschte, ich könnte sterben"

Irans Luftwaffenchef Amirali Hajizadeh
Der Iran hat den Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine mit 176 Toten zugegeben. Das Militär habe das Flugzeug "unbeabsichtigt" abgeschossen.

Die iranischen Revolutionsgarden haben die volle Verantwortung für den Flugzeugabschuss einer ukrainischen Passagiermaschine mit 176 Toten übernommen. "Ich wünschte, ich könnte sterben und hätte nicht Zeuge eines solchen Unglücks sein müssen", erklärte der Luftwaffenchef der Revolutionsgarden, Amirali Hajizadeh, in einem Video, das das Staatsfernsehen am Samstag online verbreitete. Zuvor war im iranischen Fernsehen in der Früh eine Mitteilung des Militärs verlesen worden, wonach das Passagierflugzeug am Mittwoch "unbeabsichtigt" abgeschossen worden war. 

Das Flugzeug war am Mittwochmorgen kurz nach dem Start in Teheran abgestürzt. Alle Insassen starben, darunter 57 Kanadier. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Iran aus Vergeltung für die Tötung es ranghohen Generals Qasem Soleimani durch die USA Militärstützpunkte im Irak mit Raketen beschossen, die von US-Soldaten und internationalen Truppen genutzt werden.

Passagiermaschine für feindliches Flugzeug gehalten

Absturzstelle

Neue Details zum Abschuss

Nach Angaben Hajizadehs habe ein Defekt im militärischen Kommunikationssystem zu dem fatalen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine nahe Teheran geführt.

"Das Unglück ereignete sich nach einem Kommunikationsdefekt, was jedoch trotzdem keine Rechtfertigung und unverzeihlich ist", sagte der Kommandant der Luft- und Weltraumabteilung der Revolutionsgarden, Amir Ali Hajizadeh, am Samstag. Hajizadeh berichtete, am Tag des Unglücks seien alle Streitkräfte wegen der Drohungen der USA, 52 Ziele im Iran anzugreifen, in höchster Alarmbereitschaft gewesen, darunter die Militärbasen in Teheran.

Defekt im Kommunikationssystem

Die ukrainische Maschine wurde nach seinen Worten als potenzielle Gefahr eingestuft, man habe sie fälschlicherweise für einen Marschflugkörper im Anflug auf eine strategisch wichtige Militärbasis in Teheran gehalten. Der zuständige Offizier wollte demnach der Zentrale die Gefahr melden, aber genau zu dem Zeitpunkt habe es einen Defekt im Kommunikationssystem gegeben.

Der Offizier hatte laut Hajizadeh dann nur wenige Sekunde zu entscheiden, ob er eine Luftabwehrrakete abfeuert oder nicht. "Und leider tat er es, was dann zu dem Unglück führte", sagte der Kommandant. "Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein, statt Zeuge dieses Unglücks", sagte Hajizadeh. Als Chef der Abteilung für Luft- und Weltraumabteilung trage er die volle Verantwortung und sei bereit, alle Konsequenzen zu tragen. 

Hajizadeh verteidigte die zivile Luftfahrtbehörde, die tagelang den Abschuss geleugnet hatte. "Sie trifft keine Schuld, weil sie das Ganze aus technischer Sicht und gesehen haben und nichts über den Ablauf wussten", sagte der Kommandant Seiner Einschätzung nach hätte es aber an dem Tag landesweit ein Flugverbot geben sollen, weil sich das Land in einer Art Kriegssituation befunden habe.

Rohani entschuldigt sich auf Twitter

Auf Twitter bekundete inzwischen Irans Präsident Hassan Rohani sein Beileid: "Die Islamische Republik des Iran bedauert diesen katastrophalen Fehler zutiefst."

In den vergangenen Jahrzehnten ist es mehrfach vorgekommen, dass Passagierflugzeuge ohne jede Vorwarnung abgeschossen wurden. Die Maschinen sind Raketenbeschuss hilflos ausgeliefert. Für die Insassen und ihre Angehörigen ist die Katastrophe unausweichlich:

Juli 2014, Osten der Ukraine, 298 Tote

Am 17. Juli 2014 stürzt im Osten der Ukraine eine Boeing 777 der Fluggesellschaft Malaysia Airlines ab. Alle 298 Insassen kommen ums Leben. Wie eine internationale Untersuchung zeigt, wurde der Flug MH17 mit einer BUK-Rakete sowjetischer Bauart gezielt abgeschossen. Die Boeing 777 befand sich auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur und überflog das Konfliktgebiet im Osten der Ukraine, in dem sich prorussische Separatisten und die ukrainische Armee bekämpfen. Die Separatisten leugnen den Abschuss. Die BUK-Rakete stammte von der 53. russischen Flugabwehrbrigade in Kursk im Südwesten Russlands. Drei Russen und ein Ukrainer sollen sich ab März für den Abschuss verantworten. Der Prozess in den Niederlanden dürfte in Abwesenheit der Beschuldigten stattfinden.

Oktober 2001, Schwarzes Meer, 78 Tote

Am 4. Oktober 2001 explodiert eine Tupolew-154 der russischen Fluggesellschaft Siberia Airlines über dem Schwarzen Meer, knapp 300 Kilometer vor der ukrainischen Halbinsel Krim. Alle 78 Insassen, vor allem Israelis, kommen ums Leben. Die Maschine war von Tel Aviv nach Nowosibirsk in Sibirien unterwegs. Eine Woche nach dem Unglück gesteht die Ukraine ein, dass das Flugzeug von einer versehentlich abgeschossenen ukrainischen Rakete vom Himmel geholt wurde.

Juli 1988, Persischer Golf, 290 Tote

Am 3. Juli 1988 wird ein Airbus A-300 der Fluggesellschaft Iran Air kurz nach dem Start in Bandar-Abbas über dem Persischen Golf abgeschossen. Alle 290 Insassen kommen ums Leben. Die Maschine war vom Süden des Iran Richtung Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterwegs. Die Besatzung der US-Fregatte "USS Vincennes" räumt ein, den Airbus bei einer Patrouillenfahrt in der Meerenge von Hormus für einen iranischen Kampfjet gehalten und mit zwei Raketen abgeschossen zu haben. Die USA zahlen an den Iran eine Entschädigung von gut 101 Millionen Dollar.

September 1983, Sowjetunion, 269 Tote

In der Nacht zum 1. September 1983 wird eine Boeing 747 der südkoreanischen Fluglinie Korean Air Lines (KAL) über der Insel Sachalin im fernen Osten der früheren Sowjetunion abgeschossen. Alle 269 Insassen kommen ums Leben. Die sowjetische Luftwaffe erklärt nach starkem internationalem Druck und einer Verurteilung durch den UN-Sicherheitsrat mit fünf Tagen Verspätung, dass die Boeing von Jagdflugzeugen abgeschossen wurde, weil sie von ihrer Flugroute abgekommen sei.

Februar 1973, Sinai-Halbinsel, 108 Tote

Am 21. Februar 1973 schießen israelische Kampfjets über der damals von Israel besetzten Sinai-Halbinsel eine libysche Boeing 727 ab, die eigentlich von Tripolis nach Kairo fliegen sollte, aber vom Kurs abgekommen war. 108 der 112 Insassen der Maschine kommen ums Leben. Die israelische Regierung erklärt, die libysche Boeing sei über israelische Militäranlagen geflogen und habe eine Aufforderung zur Landung zurückgewiesen.

Eingeständnis am Samstag

Bis Freitag hatte der Iran noch beharrlich behauptet, ein technischer Defekt sei die Ursache für den Absturz einer Maschine gewesen. Samstagfrüh kam dann das Eingeständnis im iranischen Staatsfernsehen: Das Flugzeug wurde vom Iran abgeschossen - "unbeabsichtigt", wie es im Staatsfernsehen hieß.

Zuvor hatten bereits mehrere westliche Geheimdienste von einem Abschuss gesprochen. Insbesondere die USA und Kanada äußerten verstärkt den Verdacht, dass die Absturzursache ein versehentlicher Raketenbeschuss gewesen sein könnte. Doch noch am Freitag wies der Iran dies vehement als "psychologische Kriegsführung" zurück. Die zivile Luftfahrtbehörde des Iran hatte am Donnerstag überraschend schnell einen vorläufigen Bericht vorgelegt, worin von einem technischen Problem kurz nach dem Start die Rede war. 

 

Kanadas Premierminister Justin Trudeau, forderte eine umfassende Aufklärung des Flugzeugabschusses sowie die volle Zusammenarbeit der iranischen Behörden. "Dies ist eine nationale Tragödie und alle Kanadier trauern gemeinsam", erklärte er.

Die Präsidenten des Iran und der Ukraine, Rohani und Wolodymyr Selenskyj, wollten noch im Laufe des Tages miteinander telefonieren. Dies teilte Selenskyjs Büro mit. 

Jörg Winter berichtet aus Teheran

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