Iran-Proteste: Riskante Sanktionsspirale

Schon knapp vor Inkrafttreten neuer US-Sanktionen sorgt die wirtschaftliche Notlage für Proteste

Staatspräsident Hassan Rohani hat sie noch mit keinem Wort erwähnt; in den Staatsmedien kommen sie nicht vor; und dennoch gibt es sie seit fünf Tagen täglich in gleich mehreren Städten des Iran: Massenproteste.

In der Stadt Ishtehad, einem Bezirkszentrum nahe der Hauptstadt Teheran, das seinen Industriepark als Sehenswürdigkeit anführt, versuchten in der Nacht auf Freitag 500 Menschen eine religiöse Schule zu Stürmen und sie in Brand zu setzen. Bevor sie ihre  Idee realisieren konnten, wurde die Menschenmenge aber von Einheiten der Polizei vertrieben. Die haben derzeit überall im Land viel zu tun.

Denn das Bild ist quer durch das Land in zahleichen Städten dasselbe: Menschen gehen auf die Straße, machen ihrem Ärger über die  miserable Wirtschaftslage Luft, brüllen Parolen für Reformen und immer öfter eben auch solche, nach einem Ende der Diktatur und nach einem Sturz von Ayatollah Ali Khamenei. Es kommt zu Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit Sondereinheiten der Polizei, die quer durch das Land verstärkt Präsenz zeigen.

Prélude

Und all das, so darf man vermuten, ist erst ein Vorgeschmack dessen, was dem Iran blüht. Anlass der Proteste sind zunächst vor allem einmal der dramatische Verfall der Landeswährung Rial und die Folgeerscheinungen der Abwertung: steigende Arbeitslosigkeit, steigende Preise, stagnierendes Wirtschaftswachstum. Anlass ist aber zugleich auch die Aussicht darauf, dass es nicht besser werden wird: Mit kommendem Dienstag wird eine erste Reihe an US-Sanktionen wieder in Kraft treten, die die USA nach ihrem Ausstieg aus dem Atomabkommen im vergangenen Mai angekündigt hatten. Diese werden zunächst den Handel mit dem Dollar,  Edelmetallen, Kohle, sowie Industriesoftware und Teppichen  betreffen. Eine zweite Tranche von Sanktionen soll im November in Kraft treten. Der bisherige wirtschaftliche Niedergang des Landes ist also vor allem einmal Folge vorfühlender Angst in Wirtschaftskreisen.

Seit April hat der Rial gegenüber dem Dollar mehr als die Hälfte seines Wertes eingebüßt. Immer wieder war es seither zu Protestwellen gekommen. Kaum aber in dieser Intensität. Zudem regt sich auch im iranischen Parlament Widerstand gegen die Regierung. In einem offenen Brief hatten zuletzt 200 Abgeordnete Präsident Rohani ein einmonatiges Ultimatum gestellt, vor dem Parlament zur wirtschaftlichen Schräglage des Iran Stellung zu nehmen.

Rohani gilt als Vertreter des moderaten Lagers, als Befürworter von Reformen und vor allem als Anhänger des internationalen Atomabkommens. Zuletzt hatte es Anzeichen dafür gegeben, dass der mächtige, nicht demokratisch legitimierte  Wächterrat, der die wahre Macht im Staat ist und auch den gesamten Sicherheitsapparat unter sich hat, gegen Rohani intregiert.  Seine einzige Rückversicherung: Als Anhänger des populären Atomabkommens genießt er einigermaßen Rückhalt in der Bevölkerung.

Eine weit verbreitete Vermutung ist: Die Ayatollahs wollen einen Vorwand für ein breit angelegtes Einschreiten des Sicherheitsapparats und eine Absetzung Rohanis schaffen, um alle Öffnungstendenzen im Ansatz abzuwürgen.

Strahlkraft nach Afghanistan

Klar ist, dass mit den wirtschaftlichen Turbulenzen im Iran eine ganze Region Gefahr läuft, noch weiter in die Krise zu stürzen.   Derzeit ist ein Massenexodus afghanischer Gastarbeiter aus dem Iran zurück nach Afghanistan im Gange. Von über 400.000 Personen, die alleine 2018 wegen der schwierigen Wirtschaftslage im Iran zurückgekehrt seien, ist die Rede. Im gesamten Jahr 2017 waren es laut der International Organisation for Migration (IOM) 187.000. Laut IOM leben bis zu 2 Millionen Afghanen als Arbeitsmigranten im Iran – deren Jobs mit dem Einbruch der iranischen Wirtschaft jetzt abrupt wegfallen. Hinzu kommen rund eine Millionen Afghanen, die als Flüchtlinge im Iran registriert sind.

In Afghanistan selbst aber gibt es kaum Jobs, die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent. Zudem wird das Land von der schwersten Dürre seit Jahrzehnten heimgesucht. Geldsendungen von im Ausland arbeitenden Familienmitgliedern waren bisher und sind nach wie vor eine maßgebliche Stütze für die afghanische Wirtschaft. Fällt diese jetzt weg, bei zugleich zurückströhmenden Arbeitskräften  auf einen inexistenten Arbeitsmarkt werde das zu schwerwiegenden Problem führen, so IOM.

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