UNO warnt vor Genozid an Jesiden

Ein Flüchtlingsmädchen im Nordirak - den Jesiden dort droht laut UN ein Völkermord.
Berichte über hunderte Entführungen von Kindern und Frauen - Deutschland will die Kurden aufrüsten.

Tausende Jesiden sind im Irak nach Angaben von UN-Experten "der unmittelbaren Gefahr von Massakern" durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgesetzt. "Es muss dringend alles getan werden, um massenweise Gräueltaten und möglicherweise gar einen Völkermord" an Jesiden zu verhindern, forderte die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheiten, Rita Izsak, am Dienstag in Genf.

Die irakische Regierung und die internationale Gemeinschaft stünden in der Pflicht, die Jesiden davor zu bewahren, betonte Izsak. Den UNO lägen überprüfte Berichte vor, wonach IS-Truppen systematisch Jesiden und andere Angehörige von Minderheiten oder Andersgläubige in die Enge trieben, sagte der für illegale Hinrichtungen zuständige UN-Sonderberichterstatter Christof Heyns.

Frauen und Kinder entführt

Zugleich verwies die UN-Berichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo, auf Informationen, IS-Mitglieder hätten hunderte von Kindern und Frauen entführt und viele von ihnen vergewaltigt. Viele Frauen seien ermordet worden. "Solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen unterbunden und bestraft werden", forderte Manjoo.

Das US-Militär versorgte zum fünften Mal die Flüchtlinge im Sinjar-Gebirge mit Lebensmitteln und Wasser. In dem Gebirge fanden Zehntausende Flüchtlinge verfolgter Minderheiten Zuflucht. Rund 40.000 Jesiden sind nach ihrer Massenflucht wieder in Sicherheit, bis zu 30.000 weitere warten in der Gebirgsregion noch auf ihre Hilfe. Zudem sind 50.000 Menschen vor Extremisten aus dem nordirakischen Sinjar-Gebirge in die kurdischen Autonomiegebiete und nach Syrien geflohen. Die Menschen seien erschöpft und dehydriert, teilte das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR am Dienstag mit.

UNO warnt vor Genozid an Jesiden
Displaced people from the minority Yazidi sect, fleeing violence from forces loyal to the Islamic State in Sinjar town, ride in the trunk of a car as they make their way towards the Syrian border, on the outskirts of Sinjar mountain, near the Syrian border town of Elierbeh of Al-Hasakah Governorate August 10, 2014. Islamic State militants have killed at least 500 members of Iraq's Yazidi ethnic minority during their offensive in the north, Iraq's human rights minister told Reuters on Sunday. The Islamic State, which has declared a caliphate in parts of Iraq and Syria, has prompted tens of thousands of Yazidis and Christians to flee for their lives during their push to within a 30-minute drive of the Kurdish regional capital Arbil. Picture taken August 10, 2014. REUTERS/Rodi Said (IRAQ - Tags: CIVIL UNREST POLITICS CONFLICT SOCIETY)

Nüchterne Bilanz

Die USA setzten am Dienstag ihre Luftangriffe gegen die Dschihadisten im Nordirak fort: Nach offiziellen Angaben der Streitkräfte griffen Kampfjets mehrere Kontrollposten der Terrormiliz IS sowie Fahrzeuge der Extremisten nahe des Sinjar-Gebirges an. Insgesamt zog das Verteidigungsministerium in Washington nach den mehrtägigen Luftschlägen jedoch eine eher ernüchternde Bilanz. Die IS-Milizen seien noch nicht gestoppt, wohl nicht einmal ernsthaft geschwächt, hieß es. Die Luftangriffe der USA haben nach Einschätzung des Pentagons den Vormarsch der islamistischen Milizen gebremst, aber bisher nicht aufhalten können. Man habe ihr "Tempo verlangsamt", sagte Generalleutnant William Mayville. Doch die IS-Kämpfer seien "weiter darauf aus, größere Gebiete zu gewinnen".

Washington stärkt die Kurden im Nordirak mit Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrormiliz. Die Lieferungen seien bereits vergangene Woche begonnen worden, sagte die Sprecherin im US-Außenamt, Marie Harf, dem US-Sender CNN.

Hubschrauber bei Hifseinsatz abgestürzt

Lokalen Medienberichten zufolge ist ein Hubschrauber der irakischen Armee bei einem Hilfseinsatz im Nordirak abgestürzt. Der Pilot kam ums Leben. 20 weitere Insassen, unter ihnen eine jesidische Abgeordnete des irakischen Parlaments, seien verletzt worden, berichtete am Dienstag das kurdische Nachrichtenportal Rudaw. Die Maschine vom Typ MI-17 habe Hilfsgüter für Flüchtlinge im Sindschar-Gebirge an Bord gehabt. Unglücksursache sei ein „technischer Defekt“. Neben den Irakern fliegt auch die US-Armee derzeit Hilfseinsätze in der Sindschar-Region. In das Gebirge sind Zehntausende Jesiden vor der Terrormiliz Islamischer Staat geflüchtet.

Berlin unterstützt Kurden

Deutschland will den Kurden im Irak nun doch mit Rüstungsgütern helfen: Verteidigungsministerin von der Leyen prüft konkrete Lieferungen an die kurdische Peschmerga-Armee, um den Vormarsch der radikalislamischen Miliz "Islamischer Staat“ zu stoppen. Bislang hatte man ein solches Vorgehen ausgeschlossen.

Von der Leyen schloss zwar zunächst die Lieferung von tödlichen Waffen aus – angedacht sei die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen aus Bundeswehrbeständen, Minensuchgeräten oder Helmen, Schutzwesten oder Sanitätsmaterial. Wenn es allerdings gelte, "einen Genozid zu verhindern, dann müssen wir Dinge intensiv auch innerhalb Deutschlands noch einmal miteinander diskutieren", wird Van der Leyen im Spiegel zitiert.

Österreich und EU geben Geld frei

Der Vormarsch der IS-Miliz beschäftigt am Dienstag auch die EU-Botschafterkonferenz in Brüssel. Österreich hat bereits angekündigt, eine Million aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung zu stellen. Das Geld solle so schnell wie möglich fließen und vor Ort von den Vereinten Nationen verteilt werden, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums am Dienstag gegenüber der APA.

Auch die EU-Kommission hat weitere fünf Millionen Euro für humanitäre Hilfe im Irak freigegeben. Damit erhöhe sich die Hilfe aus Brüssel auf 17 Millionen Euro in diesem Jahr, erklärte die EU-Kommission am Dienstag.

Spenden für die Flüchtlinge im Irak werden erbeten an:

  • Rotes Kreuz: IBAN AT57 2011 1400 1440 0144
  • Caritas: IBAN AT 9260000 0000 7700 004
  • Kirche in Not: IBAN AT72 6000 0000 9206 5338 - jeweils mit Kennwort Irak

Anhaltende Kämpfe.Angesichts der sich rapide verschlechternden Sicherheitslage im Norden des Irak empfiehlt das Außenministerium in Wien allen Österreichern, die autonome Kurden-Region zu verlassen. Derzeit befinden sich noch rund 75 Österreicher in der Region. Auch österreichische Unternehmen haben begonnen, ihre Mitarbeiter abzuziehen. Für den Irak gilt seit Längerem eine Reisewarnung, die Kurden-Region im Norden aber hatte bisher als stabil gegolten.

Dies hat sich mit dem schnellen Vormarsch der Dschihadisten der IS ("Islamischer Staat") geändert. Mossul und umliegende Städte wurden im Juni von den religiösen Fanatikern eingenommen, seither rücken die IS-Kämpfer immer näher an die Kurden-Region heran. Eine gigantische Flüchtlingswelle, die Hunderttausende Menschen erfasste, hat eingesetzt: Alle Minderheiten, Christen, Turkmenen, Schiiten wurden vertrieben. Tausende von ihnen sitzen seither fest, irren zu Fuß in glühender Hitze von Dorf zu Dorf oder flüchteten sich in Gebirgszüge. Abgesehen von Zigtausenden belagerten Jesiden, die vor den Islamisten ins Sindschar-Gebirge geflohen sind, gelten auch 20.000 Assyrer (christliche Minderheit) als vermisst. Sie alle wurden aus Mossul vertrieben, wo nach Berichten von Überlebenden zahlreiche Männer geköpft und junge Frauen verschleppt worden sein sollen. Im sicheren Kurdengebiet sind die 20.000 Assyrer bisher noch nicht angekommen.

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