Irak-Proteste: Al-Sadr fordert Rücktritt der Regierung

Irak-Proteste: Al-Sadr fordert Rücktritt der Regierung
Die Zahl der Toten im Zuge der Proteste stieg auf mehr als 90. Fast 4000 Menschen verletzt.

Der Druck auf die irakische Regierung wächst weiter. Angesichts der anhaltenden massiven Proteste im Irak mit dutzenden Todesopfern hat der einflussreiche Schiitenführer Moktada al-Sadr die Regierung zum Rücktritt aufgefordert. "Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden" müsse die Regierung zurücktreten und vorgezogene Neuwahlen unter UNO-Aufsicht müssten stattfinden, schrieb al-Sadr in einem am Freitag veröffentlichten Brief.

Zugleich kündigte er Hilfe für benachteiligte Familien an. Das Parlament will am Samstag in einer Sondersitzung über die Krise beraten. In Bagdad hatte am Donnerstagmorgen eine Ausgangssperre begonnen.

Al-Sadr ist ein einflussreicher Geistlicher und Politiker, seine Partei gehört der Regierungskoalition an. Sein Block hatte bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr die meisten Sitze im Parlament gewonnen und die Regierung bisher unterstützt. Als erster geistlicher Würdenträger des Landes hatte er sich bereits am Mittwoch hinter die Protestbewegung gestellt und zu "friedlichen Sit-Ins" aufgerufen.

Bereits mehr als 90 Tote

Die Zahl der Toten bei den mehrtägigen Protesten im Irak ist weiter gestiegen. Seit Beginn vor vier Tagen seien 93 Menschen ums Leben gekommen, teilte die staatliche Menschenrechtskommission in Bagdad am Samstag mit. Demnach wurden fast 4000 Menschen verletzt. Bei der überwiegenden Zahl der Opfer handle es sich um Demonstranten. Außerdem seien Dutzende Gebäude beschädigt worden.

In der Hauptstadt sowie in mehreren anderen Provinzen vor allem im Süden des Landes waren am Dienstag Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft ausgebrochen. Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Schüssen gegen die Demonstranten vor. Am Samstag will das Parlament zu einer Krisensitzung zusammenkommen.

Gegen Korruption

Die Proteste richten sich gegen die verbreitete Korruption, die chronischen Stromausfälle und die hohe Arbeitslosigkeit. Die Demonstranten fordern die Regierung von Adel Abdel Mahdi heraus, der vor knapp einem Jahr ins Amt kam. Anders als frühere Proteste scheinen die Proteste spontan zu sein, ohne dass eine Partei dahintersteht.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es in der südirakischen Großstadt Basra heftige Proteste gegen Korruption und Misswirtschaft gegeben. Viele Teile des Landes haben nur wenige Stunden Strom am Tag und vielerorts ist das Wasser knapp. Jeder vierte Jugendliche ist arbeitslos, während riesige Summen durch Korruption versickern. Seit der US-Invasion 2003 sollen 410 Milliarden Euro veruntreut worden sein.

Die Wut der Demonstranten ist auch deshalb so groß, weil die Regierung seit Jahren Reformen und einen verstärkten Kampf gegen die Korruption verspricht, ohne dass sich die Lage bessert. Die großen politischen Blöcke im Parlament blockieren sich gegenseitig. Der Regierungschef verfügt über keine eigene Hausmacht.

Regierungschef Adel Abdel Mahdi hob am Morgen zudem die Ausgangssperre auf, die vor zwei Tagen begonnen hatte, wie die staatliche Agentur INA meldete.

UN-Generalsekretär António Guterres rief die Regierung und die Demonstranten zu einem Dialog auf. Alle Beteiligten müssten "äußerste Zurückhaltung" zeigen, erklärte er in New York.

Auch die Chefin der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, erklärte, die Forderungen der Demonstranten seien legitim. "Unverzügliche, spürbare Ergebnisse sind von großer Wichtigkeit, um das öffentliche Vertrauen wiederherzustellen", sagte sie.

Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf rief die Regierung auf, die Proteste ernst zu nehmen. Sie müsse beispielsweise Arbeitsplätze schaffen. Das Büro äußerte sich besorgt über Berichte, dass die Sicherheitskräfte teilweise scharfe Munition und Gummigeschoße eingesetzt hätten. Die Regierung müsse sicherstellen, dass die Menschen ihre Beschwerden ohne Risiken zu Gehör bringen können.

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