"Die Rückkehrer werden uns noch lange beschäftigen"
Sie schreiben in Ihrem neuem Buch, Terroristen vom IS sind nicht verrückt. Was denn dann?
Peter Neumann: Zu sagen, Terroristen müssen geisteskrank sein, damit macht man es sich zu einfach. Ich vergleiche das mit Hannah Arendts "Banalität des Bösen": Eichmann, der für viele ein Monster war, ist in Jerusalem sechs Mal untersucht worden – das einzig Außergewöhnliche an ihm war, dass er außergewöhnlich normal war. Wir müssen akzeptieren, dass Terroristen meist nicht psychotisch sind und dass die Gründe, warum sie Terroristen wurden, in unseren Gesellschaften liegen.
Und welche Gründe sind das?
Es gibt keine einfache Formel. Bei Dschihadisten ist das Muster aber recht eindeutig: Sie sind meist Kinder oder Kindeskinder von Einwanderern, haben europäische Pässe, sprechen europäische Sprachen, aber fühlen sich dieser Gesellschaft nicht zugehörig. Das ist in Frankreich am extremsten, wo eine ganze Generation junger Araber in Gettos lebt. Sie suchen nach Struktur, Gemeinschaft und Bedeutung, junge Männer auch nach Abenteuer . Extremisten bieten das: Sie erlauben den jungen Männern, die nie eine Chance für sich sahen, Helden zu werden.
Warum begeistern sich auch vermehrt Frauen für den IS?
Frauen im IS-Kalifat dürfen ja etwa Autofahren - ist das Teil des Lockangebots?
Ja, damit machen sie Werbung. Da wird dann fast als ironisches Statement gesehen - „schaut, wir sind ja befreiter als die Frauen in Saudi-Arabien“. Bei Männern wird das Kumpel-Sein betont, bei Frauen dieses Sisterhood-Gefühl. In der Propaganda wird deshalb impliziert, dass die neue Familie im Kalifat schon wartet. Diese Erwartungen werden aber oft enttäuscht - viele Frauen dürfen nicht arbeiten, nicht mal das eigene Haus verlassen, und sie verlieren ihre Männer, die sie gerade geheiratet haben, schon nach ein zwei Monaten wieder.
Was passiert, wenn das Kalifat nun zusammenbricht?
Diejenigen, die noch dort sind, werden bei uns auftauchen – nicht alle auf einmal, aber im Lauf der nächsten Jahre. Ein Drittel der Syrien-Reisenden ist schon zurückgekehrt – da gibt es die Desillusionierten, die sich bewusst abgewendet haben, die Traumatisierten und die, die nach wie vor gefährlich sind. Verfahren gegen sie sind oft schwierig, weil Beweise fehlen, weil sie behaupten, sie wären nie beim IS, sondern nur als Tourist in Syrien gewesen. Die allermeisten Rückkehrer sind aber unentschieden – sie wissen nicht, ob sie "Superterroristen" werden oder sich zurückziehen. Das darf man nicht unterschätzen: Die Rückkehrer werden uns in Europa noch lang beschäftigen.
Warum blieb Deutschland eigentlich so lange verschont?
Die strukturellen Spannungen sind etwa in Frankreich schärfer. Der Laizismus, der eigentlich neutrale Räume sicherstellen soll, wird von vielen Muslimen feindlich wahrgenommen. Das war in Deutschland nie so extrem – das Gefühl der Entfremdung, das einen ja auch für Extremisten ansprechbar macht, war nie so groß. In Sicherheit darf man sich deshalb aber nicht wiegen, auch in Berlin oder Frankfurt gibt es "Gettos", wo ähnliche Entwicklungen vorstellbar sind.
Sie schreiben von einem Teufelskreis in der Polit-Debatte.
Terrorismus hat ja nicht als einziges Ziel, Leute umzubringen – er will Gesellschaften terrorisieren. Er will Angst einjagen, Misstrauen säen, politisch polarisieren. Die Gefahr dabei ist, dass dschihadistischer Terror von Rechtspopulisten instrumentalisiert wird, dass sich beide Extreme aufschaukeln, dass der Platz in der Mitte immer enger wird. Das schafft die Grundlage für eine immer stärkere Radikalisierung – das sieht man in Frankreich, in den Niederlanden, zum Teil auch in Österreich.
Es ist also die Absicht der Terroristen, auch die Rechtspopulisten zu stärken?
Ja, das ist auch ein Ziel. Wenn Extremisten etwas gemeinsam haben, ist es das Bestreben, in Schwarz- Weiß-Kategorien zu sehen. Das ist bei Nazis wie bei Dschihadisten gleich. Letztlich möchte der IS in Europa eine Situation schaffen, wo sich Muslime entscheiden müssen, ob sie Europäer sind oder Muslime – und die Möglichkeit, beides zu sein, nicht da ist. Dieses Spiel dürfen wir nicht mitspielen.
Die Brutalität des IS wirkt neu. Sie schreiben aber, dass Ähnliches schon während des Nordirland-Konfliktes passiert ist.
Natürlich gibt es immer Unterschiede, aber viele der Dinge sind nicht so neu - die Enthauptungen, die bestialische Brutalität des IS, ist vergleichbar mit den Schlächtern von Shankill, einer protestantischen Bande, die Katholiken umgebracht hat. Da wurden Arme abgehackt, Zähne gezogen, enthauptet - diese ultimativen Demütigungen wurde nicht vom IS erfunden.
Wie kann man den IS für junge Menschen unattraktiv machen?
Gerade beim IS geht es um klassische Jugend- und Sozialarbeit. Was Extremisten in Molenbeek oder Neukölln tun, ist ja keine Zauberei, da sind nur charismatische Leute am Werk. Sie füllen das Vakuum, das die Zivilgesellschaft seit Jahren hinterlassen hat, sie bieten, wonach junge Leute suchen. Sie nehmen Probleme ernst und bieten Orientierung – die Religion kommt noch dazu. 90 Prozent dieser Angebote können Staat und Zivilgesellschaft machen. Das ist auch ein Versäumnis der muslimischen Gemeinschaften, die kein Angebot für Junge haben – meist sind da ältere Männer am Wort, Imame werden importiert. Sie haben null Erfahrung damit, was es heißt, ein junger Mensch in einer europäischen Gesellschaft zu sein, oft wollen sie es auch nicht wissen. Ein 17-jähriger Türke findet dort keine Antworten auf seine Fragen zu Sex, Gewalt, Kriminalität – Extremisten wie etwa Pierre Vogel sprechen aber darüber, sind kumpelhaft, unterhaltsam. Die muslimischen Gemeinschaften müssten einen nicht-salafistischen Pierre Vogel produzieren, der die Lebenswirklichkeit junger Muslime reflektiert – der Terror ist längst unter uns.
Buchtipp: Peter Neumann, "Der Terror ist unter uns". Ullstein Verlag, 20,60 Euro - im guten Fachhandel erhältlich.
Es war vor zwei Wochen, als Eltern mit ihrem 11-jährigen Sohn nach Österreich zurückgekehrt sind. Vor zwei Jahren sind sie von Wien aus in den Dschihad gezogen; träumten den Traum vom Kalifat. Doch der hat sich in Syrien schnell als Albtraum herausgestellt.
"Sie hatten es sich anders vorgestellt", sagt Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus, die auch eine Helpline für Angehörige betreiben ( 0800 20 20 44).In der Beratung hätten die Eltern nach ihrer Rückkehr angegeben, dass der Islam, wie ihn der IS vorlebt, nicht der "wahre Islam" sei, nach dem sich die Familie orientieren möchte.
Zurück in Österreich kamen die Eltern in U-Haft, der 11-jährige Sohn wird vom Jugendamt betreut.
Leben ohne Sorgen
Im vergangenen halben Jahr habe sich der Fokus der Beratungsstelle geändert: Statt Menschen davon abzuhalten, in den Dschihad zu ziehen, geht es jetzt mehr darum, Angehörige von IS-Rückkehrer zu betreuen. "Wir erwarten, dass weitere Personen zurückkommen", sagt Fabris. Dafür gebe es "Hinweise". Um wie viele Personen es sich handeln könnte, steht nicht fest. Aus dem Innenministerium heißt es dazu nur: "Der Verfassungsschutz ist aufmerksam."
So wie für die eingangs erwähnte Familie habe sich für viele, die ausgereist sind, der Traum vom Kalifat ausgeträumt. Der Plan, ein "sorgenfreies Leben in einem starken islamischen Staat" zu leben, sei nicht aufgegangen. IS-Hochburgen werden vermehrt angegriffen, "Ungerechtigkeit gibt es auch vor Ort", sagt Fabris.
Gefährliche Rückkehrer
Peter Gridling, Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sprach zuletzt von einer "erhöhten Terrorgefahr" in Österreich.
Gefährdungspotienzial sieht er vor allem in IS-Rückkehrern und jenen Menschen, die an der Ausreise gehindert wurden.
Laut Innenministerium sind bisher 288 Menschen von Österreich aus in den Dschihad gezogen. Seit 2015 geht die Zahl der Ausreise-Willigen zurück: 2014 waren es 139 Personen, 2015 nur noch 59 und heuer bisher sieben. 80 Personen sind bisher wieder aus dem Dschihad zurückgekehrt.
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