Die Angst vor dem indischen "Erlöser"
In der mythenumwobenen Pilgerstadt Varanasi am Ganges, in der gläubige Hindus am liebsten sterben und verbrannt werden würden, ging es am Montag äußerst weltlich zu. Es war der letzte Tag der mehr als fünf Wochen dauernden indischen Parlamentswahlen. Eineinhalb Millionen Menschen waren aufgerufen, das Parlament in Neu Delhi neu zu wählen. Auch 40 andere Wahlkreise bestimmten ihre Vertreter im 543 Sitze zählenden Unterhaus (Lok Sabha).
Im ganzen Land waren seit Anfang April 815 Mio. Menschen beim weltweit größten demokratischen Urnengang aller Zeiten wahlberechtigt. Laut Wahlkommission machten 541 Mio. (66 Prozent) von diesem Recht Gebrauch. Das Wahlergebnis soll es am Freitag geben.
Tickende Zeitbombe
Der Höhepunkt des Votums fand laut Beobachtern gestern in Varanasi, dem früheren Benares, statt. Hier traten Narendra Modi von der hindu-nationalistischen BJP, und Arvind Kejriwal von der 2012 gegründeten Anti-Korruptionspartei AAP direkt gegeneinander an. Beide wollten den Sitz des Wahlkreises erobern.
Dass Modi das Rennen landesweit für sich entscheiden würde, galt als sicher. Ob ihm das auch in Varanasi gelingen würde, war offen. In der hinduistischen Pilgerstadt leben 20 Prozent Muslime – und Indiens Muslime (13 Prozent der Bevölkerung) betrachten Modi als tickende Zeitbombe.
Schon als Kind war der heute 63-Jährige der radikal-hinduistischen, oft islamfeindlich auftretenden Organisation RSS beigetreten, diente sich in ihr und später in der BJP hoch. Seit 2001 ist er Regierungschef des Bundesstaats Gujarat. 2002 massakrierten hinduistische Mobs dort 1000 Muslime. Die Polizei blieb dabei untätig, Modi schwieg. Obwohl er von einem Gericht von Vorwürfen der Mitschuld reingewaschen wurde, herrscht bei Muslimen in Indien und auch beim islamischen Erzfeind Pakistan Unbehagen. Meist hält sich Modi zwar mit Attacken gegen die Minderheit zurück. Vor Kurzem erklärte er jedoch, er werde muslimische Flüchtlinge aus Bangladesch nach einem Wahlsieg zurückschicken.
Hoffnungsträger
Die Mehrheit der Hindus, von Bankern über Angestellte aus der Mittelklasse bis hin zu Slumbewohnern, sehen im Sohn eines Teeverkäufers einen von ihnen – und einen Heilsbringer. Modi hat Gujarat zu einem boomenden Wirtschaftsstandort gemacht, ohne auf die Armen zu vergessen. Er ließ Straßen bauen, Stromkabel und Wasserleitungen verlegen.
Viele trauen Modi zu, sein Erfolgsmodell auf das ganze Land zu übertragen. Zudem soll er Korruption, Misswirtschaft und Arbeitslosigkeit beseitigen – Probleme, die der regierenden Kongresspartei mit ihrem farblosen Kandidaten Rahul Gandhi angelastet werden. Ihr wird eine schwere Niederlage prophezeit. Ein junger Wähler: "Wir wollen Jobs, wir wollen Strom, wir wollen Toiletten."
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