Imam kümmert sich um Rückkehrer
Ramazan Demir, Imam, AHS-Religionslehrer und Gefängnisseelsorger, weiß viel zu erzählen. Der 28-Jährige sprudelt über, wenn man ihn über seine Arbeit in der Justizanstalt Josefstadt befragt. "In meiner Predigt beim Freitagsgebet in der Moschee im Gefängnis sprach ich vor ein paar Monaten über die Barmherzigkeit Mohammeds gegenüber Christen und Juden. Danach kam ein junger Türke, 18, zu mir und bat mich eindringlich um ein Gespräch. Ob das denn wirklich stimme und ob ich ihm noch mehr erzählen könne? Er sei nie zuvor in einer Moschee gewesen, und sein Zellengenosse habe ihm genau das Gegenteil gesagt."
IS-Anwerbung in Haft
"Sein Zellengenosse begann ihn zu radikalisieren", erzählt Demir weiter. Zunächst schimpfte der Extremist über Medienberichte, die Muslime schlecht machten. Zusammen mit politischer Hetze von Rechtspopulisten nahm er das als Beleg dafür, "dass die Österreicher uns nicht wollen", sagt der Seelsorger. "Er erzählte dem Jungen viele Lügen über den Islam. Er bearbeitete ihn mit Parolen: Alle anderen sind böse und wollen unsere Vernichtung. Wir müssen uns verteidigen." Die Indoktrinierung in der Enge der Zelle endete mit dem gemeinsamen Entschluss: "Lass uns nach der Haftentlassung nach Syrien fahren und dort in den Reihen des ,Islamischen Staates‘ (IS) gegen die Ungerechtigkeit kämpfen."
Der junge Imam atmet tief durch: "Stellen Sie sich vor, er wäre damals nicht zum Freitagsgebet gekommen. Und wir hätten nicht miteinander geredet... So konnte ich ihn entradikalisieren, da bin ich mir sicher", freut sich Demir, wird aber gleich wieder ernst.
In der Josefstadt betreuen fünf Seelsorger fast 300 Muslime ein paar Stunden die Woche. Selbst zum Freitagsgebet können aus Platz- und Sicherheitsgründen nur immer 35 Häftlinge kommen. "Wir haben leider viel zu wenig Zeit für diese für die Gesellschaft so wichtige Arbeit. Das ist zu wenig – und eine Gefahr für uns alle." Österreichweit sind 46 ehrenamtliche Seelsorger für 1700 einsitzende Muslime (von insgesamt 8800 Häftlingen) im Einsatz. Der Geistliche, den ein sonniges Gemüt auszeichnet, wird ernst. Er bittet die Republik um bezahlte Planposten, wie es sie für christliche Seelsorger auch gibt. Demir ist bescheiden, fünf für das ganze Land wären gut. "Das kann doch nicht die Welt kosten, wo doch so viel auf dem Spiel steht."
Das lässt sich leicht belegen, die Attentäter in Paris und Kopenhagen wurden im Gefängnis radikalisiert. Demir weiß, wie das vor sich geht – auch durch seine Masterarbeit über "Muslimische Jugendliche in österreichischen Gefängnissen". Das Puzzle der Radikalisierung: kein Halt in der Gesellschaft; kein Job; keine Perspektive. Diskriminierung, die mit der Zahl der IS-Terrorattacken noch steige.
Suche nach Identität
Einen dieser Männer, die für den IS in den Kampf gezogen sind, trifft Demir regelmäßig im Gefängnis. "Für den IS ist er ein Verräter. Er weint oft, weil viele unschuldige Menschen ermordet werden. Er bereut aus tiefstem Herzen", ist sich der Seelsorger sicher. "Er wird nie wieder kämpfen, auch nicht bei uns."
"Natürlich brauchen die islamischen Seelsorger für ihre wichtige Arbeit mehr Zeit und Geld", sagt Oberst Peter Hofkirchner, Vize-Leiter der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Aber das obliege der Politik.
"Islamisten picken sich ja immer nur einzelne Koranverse heraus und interpretieren sie wie sie wollen. Das können aber nur islamische Gelehrte klarstellen, nur sie haben die Autorität", sagt Hofkirchner. "Die Seelsorger können im Gespräch etwas bewirken, wir sind ihnen sehr dankbar." Auch dafür, dass Ramazan Demir kommende Woche die Belegschaft über die Grundzüge des Islam und "worauf wir im Umgang mit den Muslimen schauen sollten und müssen" informieren wird.
Oberst Hofkirchner plagen viele Sorgen. Eine ist, dass radikale Islamisten in den Zellen Nachwuchs rekrutieren. "Wir schauen so gut es geht, dass das nicht passiert", versichert er. Aber es sei nicht einfach. Auch für mutmaßliche Dschihadisten in U-Haft gelte bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung. "Wir können sie auch nicht einfach in Einzelhaft stecken – und damit ihren Suizid riskieren. Unser Auftrag lautet auch Resozialisierung – und nicht, sie auf ewig wegzusperren."
Viele Häftlinge müssten aufgrund der Überbelegung in Zehn-Mann-Zellen untergebracht werden. "In so einer Situation muss man stark auf die WG-Tauglichkeit achten – ethnisch, religiös, sprachlich. Was löse ich aus, wenn zwei nicht miteinander kommunizieren können? Wir haben 65 bis 70 Nationalitäten." Und: "Wenn ich zwei gläubige Muslime habe, die fünf Mal am Tag beten, auch nachts, mach ich die anderen narrisch."
Kommentare