Historikerin über FPÖ: "Ich würde Rosenkranz auch nicht einladen"

Hätte Dina Porat FPÖ-Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz auch von einer Holocaust-Gendenkveranstaltung ausgeladen? „Ja“ – sagt die renommierte israelische Historikerin. Unter bestimmten Vorzeichen könnte sich das aber ändern, glaubt sie.
KURIER: Elon Musk beklagt, dass Deutschland zu sehr auf die Verbrechen der Vergangenheit fokussiert sei. Soll Österreich, soll Deutschland weniger der Gräuel der Nazi-Zeit gedenken?
Dina Porat: Er hat nicht recht. Man kann keine Zukunft aufbauen, wenn man seine Vergangenheit nicht kennt, man startet ja nicht vom Nullpunkt. Aber er hat recht, wenn er meint, dass die junge Generation keine Schuld für die Verbrechen der Nazis trägt – es liegt jetzt 80 Jahre und drei Generationen zurück. Aber es tut mir leid zu sagen, dass das, was Deutschland getan hat, ein Schandfleck für Generationen ist – und nicht nur wegen der Verbrechen an Juden. In Auschwitz wurden 1,1 Millionen Juden getötet, aber auch eine Viertelmillion Nicht-Juden.
Sie wollten die europäische Demografie dominieren: Wer wird geboren und wer nicht? Deutschland war der Grund für einen Krieg, der letztlich weltweit das Leben von 60 Millionen Menschen gekostet hat – das muss man in der globalen Proportion sehen.
Geht es nicht vor allem darum, nicht mehr diese Schuld tragen zu müssen?
Natürlich trägt die zweite und dritte Generation keine Schuld mehr.
Ist es gefährlich, dass in Österreich 14 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nicht wissen, was der Holocaust bedeutet?
Das ist eine kleine Zahl im Vergleich etwa mit den USA – dort wissen es 40 Prozent nicht. Aber ja, es ist gefährlich, dass so wenige Bescheid wissen. Wissen schafft das Bewusstsein, zu erkennen und Zeichen zu deuten, wenn Probleme aufziehen.
Probleme wie ...?
Etwa wie bei einem Regime wie in Ungarn. Es manipuliert und kontrolliert die Medien, es untergräbt die Unabhängigkeit des Justizsystems. Das sind Anzeichen. Sie zu sehen ist ein Muss, besonders heute. Das muss ich Ihnen nicht sagen:
Ihr habt Kickl, der bald eine Regierung führen könnte.
Wäre denn eine Rechts-Regierung mit einem Regierungschef Herbert Kickl eine Gefahr?
Ich weiß nicht, was sie mit ihrer Regierungsmacht machen werden. Manchmal ändern sich die Leute, sie werden gemäßigter, verstehen ihre Verantwortung. Aber im Großen und Ganzen ist Europa auf dem Weg nach rechts. Sehen Sie sich Frankreich an. Marine Le Pen ist nicht weit von der Präsidentschaft entfernt.
Beim Auschwitz-Gedenken in Wien protestierte die Jüdische Hochschülerschaft gegen Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ). Sollte man Politikern die Hand reichen, die willig sind, moderate Seiten zu zeigen?
Ich kann den Protest nachvollziehen, besonders am Holocaust-Gedenktag. Diese Partei, die FPÖ, hat ihre Ursprünge bei Nazis. Ich würde Rosenkranz auch nicht einladen. Ich erinnere mich an einen Besuch von Herrn Strache in Yad Vashem. Niemand hatte ihn eingeladen, er kam einfach. Er nutzte es aus, dass der Ort offen zugänglich ist. Er reiste mit einer Gruppe Journalisten an, teilte das der ganzen Welt mit. Aber wir Mitarbeiter haben uns oben eingeschlossen, wir wollten auf keinen Fall mit ihm gesehen werden. Also wenn Rosenkranz und Kickl später Zeichen der Mäßigung zeigen und dann ausgeladen werden, wäre es schlecht.
Dina Porat
war zehn Jahre lang die Chefhistorikerin in Yad Vashem – der staatlichen israelischen Gedenkstätte des Holocaust in Jerusalem. Als Tochter sowjetischer Emigranten wurde sie 1943 in Argentinien geboren, siedelte aber bald nach der Gründung des Staates Israel nach Tel Aviv. Die renommierte Historikerin hat zahlreiche Bücher verfasst und auch in Harvard unterrichtet
50 junge Juden
sind die Protagonisten in Dina Porats jüngstem Sachbuch: „Die Rache ist mein“. Diese hatten als Untergrundkämpfer in Osteuropa die Shoah überlebt und nach dem Krieg beschlossen, sechs Millionen Deutsche zu töten – was wie natürlich nicht ausführten
Gedenken
In Wien nahm Dina Porat anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz an einem Holocaust-Gedenken in der UNO-City teil
Aber solange sie nicht sagen: Es tut uns leid, es war furchtbar – so lange wäre ihre Anwesenheit bei solchen Gedenken oder Orten Zynismus.
Was halten Sie davon, das Denkmal des früheren Wiener Bürgermeisters Lueger, eines Antisemiten, zu entfernen?
Das ist keine gute Idee. Die Statue ist ein Teil der Kulturgeschichte. Man sollte vielmehr eine Plakette dazuhängen, die den Kontext erklärt: Etwa, dass Lueger ein Antisemit und Rassist war, dass Kaiser Franz Josef ihn nicht mochte, ihn vier Mal nicht angeloben wollte. Im israelischen Philharmonischen Orchester hat man ein Problem so gelöst: Bei den Bach- und sonstigen Passionen gibt es eine Textstelle, wo die jüdische Menge nach dem Todesurteil durch Pontius Pilatus antwortet: „Sein Blut wird auf unseren Händen und den Händen unserer Kinder kleben.“ Das Orchester spielt also, dann kommt es zur Textstelle – stoppt für ein paar Sekunden – und spielt dann weiter.
Sollen wir auch Richard Wagner nicht mehr hören?
Wir haben in Israel drei Kanäle der Sender, die Wagner bewusst nicht spielen. Daniel Barenboim wollte es im Radio durchsetzen – er scheiterte. Alle anderen Kanäle oder Sender aber spielen Wagner – und so soll es bleiben. Für Hitler war Wagner eine Art Religion. Er wollte so zeigen, dass die Nazis kein Unfall der Geschichte sind, sondern Kontinuität in der deutschen Geschichte bedeuten.
Weil Sie Kontinuität erwähnen…. War der Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 die Kontinuität des Holocaust?
Nein, das ist keine Kontinuität, aber kontinuierlich ist dieser konstante Wunsch, etwa der Hamas und des Iran, uns zu vernichten. Wir sind aufgewacht mit der Realität: entweder sie oder wir.

Dina Porat, Historikerin
Das erklärt die Entschlossenheit vieler Israelis, die Hamas vollständig zu beseitigen?
Ja, die Hamas – nicht das palästinensische Volk.
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