Natürlich trägt die zweite und dritte Generation keine Schuld mehr.
Ist es gefährlich, dass in Österreich 14 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nicht wissen, was der Holocaust bedeutet?
Das ist eine kleine Zahl im Vergleich etwa mit den USA – dort wissen es 40 Prozent nicht. Aber ja, es ist gefährlich, dass so wenige Bescheid wissen. Wissen schafft das Bewusstsein, zu erkennen und Zeichen zu deuten, wenn Probleme aufziehen.
Probleme wie ...?
Etwa wie bei einem Regime wie in Ungarn. Es manipuliert und kontrolliert die Medien, es untergräbt die Unabhängigkeit des Justizsystems. Das sind Anzeichen. Sie zu sehen ist ein Muss, besonders heute. Das muss ich Ihnen nicht sagen:
Ihr habt Kickl, der bald eine Regierung führen könnte.
Wäre denn eine Rechts-Regierung mit einem Regierungschef Herbert Kickl eine Gefahr?
Ich weiß nicht, was sie mit ihrer Regierungsmacht machen werden. Manchmal ändern sich die Leute, sie werden gemäßigter, verstehen ihre Verantwortung. Aber im Großen und Ganzen ist Europa auf dem Weg nach rechts. Sehen Sie sich Frankreich an. Marine Le Pen ist nicht weit von der Präsidentschaft entfernt.
Beim Auschwitz-Gedenken in Wien protestierte die Jüdische Hochschülerschaft gegen Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ). Sollte man Politikern die Hand reichen, die willig sind, moderate Seiten zu zeigen?
Ich kann den Protest nachvollziehen, besonders am Holocaust-Gedenktag. Diese Partei, die FPÖ, hat ihre Ursprünge bei Nazis. Ich würde Rosenkranz auch nicht einladen. Ich erinnere mich an einen Besuch von Herrn Strache in Yad Vashem. Niemand hatte ihn eingeladen, er kam einfach. Er nutzte es aus, dass der Ort offen zugänglich ist. Er reiste mit einer Gruppe Journalisten an, teilte das der ganzen Welt mit. Aber wir Mitarbeiter haben uns oben eingeschlossen, wir wollten auf keinen Fall mit ihm gesehen werden. Also wenn Rosenkranz und Kickl später Zeichen der Mäßigung zeigen und dann ausgeladen werden, wäre es schlecht.
Aber solange sie nicht sagen: Es tut uns leid, es war furchtbar – so lange wäre ihre Anwesenheit bei solchen Gedenken oder Orten Zynismus.
Was halten Sie davon, das Denkmal des früheren Wiener Bürgermeisters Lueger, eines Antisemiten, zu entfernen?
Das ist keine gute Idee. Die Statue ist ein Teil der Kulturgeschichte. Man sollte vielmehr eine Plakette dazuhängen, die den Kontext erklärt: Etwa, dass Lueger ein Antisemit und Rassist war, dass Kaiser Franz Josef ihn nicht mochte, ihn vier Mal nicht angeloben wollte. Im israelischen Philharmonischen Orchester hat man ein Problem so gelöst: Bei den Bach- und sonstigen Passionen gibt es eine Textstelle, wo die jüdische Menge nach dem Todesurteil durch Pontius Pilatus antwortet: „Sein Blut wird auf unseren Händen und den Händen unserer Kinder kleben.“ Das Orchester spielt also, dann kommt es zur Textstelle – stoppt für ein paar Sekunden – und spielt dann weiter.
Sollen wir auch Richard Wagner nicht mehr hören?
Wir haben in Israel drei Kanäle der Sender, die Wagner bewusst nicht spielen. Daniel Barenboim wollte es im Radio durchsetzen – er scheiterte. Alle anderen Kanäle oder Sender aber spielen Wagner – und so soll es bleiben. Für Hitler war Wagner eine Art Religion. Er wollte so zeigen, dass die Nazis kein Unfall der Geschichte sind, sondern Kontinuität in der deutschen Geschichte bedeuten.
Weil Sie Kontinuität erwähnen…. War der Terror der Hamas am 7. Oktober 2023 die Kontinuität des Holocaust?
Nein, das ist keine Kontinuität, aber kontinuierlich ist dieser konstante Wunsch, etwa der Hamas und des Iran, uns zu vernichten. Wir sind aufgewacht mit der Realität: entweder sie oder wir.
Das erklärt die Entschlossenheit vieler Israelis, die Hamas vollständig zu beseitigen?
Ja, die Hamas – nicht das palästinensische Volk.
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