80 Jahre Befreiung Auschwitz: Gedenken an das Undenkbare

80 Jahre Befreiung Auschwitz: Gedenken an das Undenkbare
Wie die polnische Provinzstadt Oświęcim zum Symbol des Grauens wurde und wie viele Menschen glauben, dass sich der Holocaust heute wiederholen kann.

Das Bild riecht nach Sommer und frisch gemähtem Gras. Es strahlt Ruhe und Frieden aus. Dennoch sollte es zum Symbol für Krieg und Grauen werden – das Gemälde des Impressionisten Camille Pissarro Im Gras liegendes Mädchen steht für ein besonders tragisches Holocaust-Schicksal: 1943 hatte die jüdisch-niederländische Familie van den Bergh das Bild unter Druck verkauft, um die Familie vor der Nazi-Verfolgung zu retten. Jaap und Ellen überlebten. Ihre beiden Töchter aber wurden verraten und ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Das Bild blieb verschollen.

Am Montag jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers zum 80. Mal. Soldaten der Roten Armee fanden am 27. Jänner 1945 gerade einmal 7.000 Überlebende. Die Bergh-Töchter waren nicht dabei. Rosemarie und Marianne sind nur acht und fünf Jahre alt geworden.

Bis heute ist Auschwitz Synonym für den Holocaust, den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti, Roma und rassisch oder politisch Verfolgten und damit ein Symbol für das schwerste Erbe der deutschen und österreichischen Geschichte. Daher sagt die Direktorin des Haus der Geschichte Österreich, Monika Sommer, liege der Ort zwar geografisch in Polen, „ist aber ein zentraler Ort der österreichischen Gedenkkultur. Lange hat Österreich sich dort als Opfer inszeniert, aber dabei eigene Verbrechen vergessen.“ Die Verantwortung für diesen Zivilisationsbruch liege auch in Österreich, wo die Radikalisierung hinsichtlich der Shoah ihren Ausgang nahm.

Warum das polnische Oświęcim (Auschwitz) von den Nationalsozialisten ausgewählt wurde, erklärt sich aus Geografie und Geschichte: Zwischen Krakau und Kattowitz gelegen, befand sich hier, in der um 1940 gut entwickelte Provinzstadt, ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Das war für den Transport der Häftlinge in Viehwaggons unerlässlich. Baracken aus der K.-u.-k.-Monarchie dienten früher als Quarantänestationen und wurden weiterverwendet.

80 Jahre Befreiung Auschwitz: Gedenken an das Undenkbare

Die meisten Insassen überlebten nicht. Man schätzt, dass etwa 60 Prozent der Gefangenen umkamen. Die Zahl der heute noch lebenden Auschwitz-Überlebenden liege aktuell noch „im dreistelligen Bereich“, schätzte der führende deutsche Auschwitz-Experte Ernst Piper. Eine von ihnen ist 103-jährige Margot Friedländer. Sie hat ihre Geschichte oft erzählt: „Weil ich versuche, euch klarzumachen, was gewesen ist, dass wir das nicht mehr ändern können, dass es aber für euch ist, dass es nicht wieder passieren darf. Das ist meine Mission.“

Dieses Engagement ist auch dringend nötig, wie eine aktuelle Umfrage zeigt: Die Jewish Claims Conference wollte wissen, ob 18- bis 29-Jährige die Begriffe Holocaust oder Schoah kennen. In Deutschland verneinten zwölf Prozent der jungen Erwachsenen, in Österreich waren es 14, in Rumänien 15, in Frankreich sogar 46 Prozent. In fast allen erfassten Ländern glaubt eine große Mehrheit auch, dass so etwas wie der Holocaust wieder passieren könnte. In den USA liegt der Anteil bei 76, in Großbritannien bei 69, in Frankreich bei 63 Prozent, in Österreich bei 62 und in Deutschland bei 61 Prozent.

P.S. Was mit Im Gras liegendes Mädchen passiert ist, weiß man mittlerweile auch: Nach dem Krieg hatte Jaap van den Bergh die Rückgabe beantragt. Die Suche nach dem Bild blieb erfolglos. Erst 2016 wurde es im Kielwasser von Raubkunst-Forschungen im Besitz der Kunsthalle Bremen entdeckt. Suzan, die dritte nach dem Krieg geboren Tochter der Berghs, verzichtete auf das Gemälde, verlangte aber, dass die Geschichte ihrer Familie erforscht würde: „Ich sehe dieses Buch als Ehrung für meinen Vater, meine Mutter und meine Schwestern. Es ist das kleine bisschen Leben, das ich Rosemarie und Marianne noch geben kann.“

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