Wie sich Geflohene aus der Ukraine per App vernetzen
In Österreich sind es 97.000, in Deutschland eine Million, in Polen sogar 1,6 Millionen Menschen. Acht Millionen Flüchtlinge kamen laut UNHCR seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Europa, fünf Millionen sind mit Vertriebenenstatus geblieben – „und nicht alle werden irgendwann auch wieder zurückgehen“, sagt Julia Tokar.
Das gelte auch für sie selbst, sagt die Juristin, 33. Seit September lebt Tokar mit ihrer zweijährigen Tochter im steirischen Weiz, geflohen vor den Bomben der russischen Armee. Ihr Mann ist – wie viele Männer – in der Ukraine, ihre zwei Brüder sind an der Front. Allein muss sie sie sich dennoch nicht fühlen, sagt sie.
Dass das so ist, daran trägt sie selbst großen Anteil: Sie hat gemeinsam mit einem ebenso geflohenen, belarussischen Entwickler und der NGO „Society of Ukrainian Researchers“ die App „I am Ukrainian“ entwickelt. Sie soll alle Geflohenen in ganz Europa miteinander vernetzen – und es den Ukrainern hier ermöglichen, sich gegenseitig zu unterstützen.
Die ukrainische Friseurin
In der App finden sich nicht nur Veranstaltungen von und für Ukrainer in der Nähe, sondern auch Informationen über medizinische Versorgung und Behördenansprechpartner in dem Land, in dem man sich aufhält – in 31 europäischen Staaten funktioniert das bereits. Zudem kann jeder, der selbstständig ist, sein Unternehmen listen lassen. „Damit kann man etwa nach einer ukrainischen Friseurin in der näheren Umgebung suchen. So unterstützt man ihr neues Geschäft im Ausland und kann sich sicher sein, dass man trotz schlechter Deutschkenntnisse auch die richtige Frisur bekommt“, sagt Tokar lachend. Auch viele ukrainische Psychologen bieten via „I am Ukrainian“ ihre Dienste an, oft kostenreduziert und online. „Das hilft den vielen Traumatisierten, die sich noch nicht gut verständigen können.“
Seit vier Monaten gibt es die App, 30.000 Mal wurde sie heruntergeladen. Finanziert haben Tokar und ihre Kollegen von der NGO bisher alles selbst, die Mitarbeiter haben sie ehrenamtlich entwickelt. Staatliche Unterstützung erhielten sie nur, indem die App mit dem staatlichen Behörden-Portal Diia kompatibel gemacht wurde. Über sie können Ukrainer alle Behördengänge online erledigen und sich auch eine digitale ID erstellen, die weltweit gilt. Durch die Kooperation, sagt Tokar, sei sichergestellt, dass die „I am Ukrainian“ -App nur von Ukrainern genutzt wird – und nicht von Propagandisten oder anderen Störenfrieden. „Wir checken alles gegen und moderieren auch alles“, sagt Tokar.
Die App soll den vielen Geflohenen ein Gefühl von Gemeinschaft vermitteln, so das Ziel. Für Tokar, die selbst bei der Maidan-Revolution aktiv war und auch im ukrainischen Parlament gearbeitet hat, gilt das übrigens nicht mehr nur virtuell, sondern auch in echt. „Meine Verwandten aus den besetzten Gebieten haben es endlich zu uns in die Steiermark geschafft“, sagt sie. Sie seien aus der Nähe von Lugansk, sagte sie; russische Soldaten hätten ihnen das Auto weggenommen, würden in ihrem Haus leben. „Wir sind froh, hier in Österreich zu sein“, sagt sie. Und setzt nach: „Der Krieg ist zu einer Statistik geworden. Das darf nicht so bleiben.“
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