Hunderttausende Briten demonstrierten für zweites Brexit-Referendum

Premierministerin May stellt dritte Abstimmung über Austrittsvertrag infrage.

"Ich liebe die EU": In London sind am Samstag hunderttausende Menschen für ein zweites Brexit-Referendum auf die Straße gegangen. Gegner des Austritts Großbritanniens aus der EU versammelten sich am Hyde Park und zogen in einem riesigen Protestzug durchs Regierungsviertel in Westminster zum Parlament.

"People's Vote"

Premierministerin Theresa May erwog inzwischen, auf die geplante dritte Abstimmung im Unterhaus über den Austrittsvertrag mit der EU zu verzichten.

Die Veranstalter von der Kampagne "People's Vote" (Volksabstimmung) wollen mit einem zweiten Referendum erreichen, dass der EU-Austritt Großbritanniens doch noch verhindert wird. Die Veranstalter schätzten die Zahl der Teilnehmer auf rund eine Million, die Polizei gab zunächst keine offiziellen Teilnehmerzahlen bekannt.

"Ich liebe die EU"

An einer ähnlichen Demonstration im Oktober hatten sich fast 700.000 Menschen beteiligt - es war die größte Demonstration in London seit Protesten gegen den Irak-Krieg im Jahr 2003 mit einer Million Demonstranten.

"Ich liebe die EU", "Macht Artikel 50 rückgängig" und "Wir fordern eine Volksabstimmung" stand auf den Plakaten der Demonstranten, die aus dem ganzen Land in die britische Hauptstadt gekommen waren. Viele hatten EU-Flaggen dabei - teilweise sogar in Herzform. Viele Demonstranten machten Premierministerin May mit Puppen und Karikaturen für die vertrackte Situation verantwortlich.

Im Juni 2016 hatte sich eine knappe Mehrheit von 51,9 Prozent der Briten für den Brexit ausgesprochen. Eigentlich sollte die Frist bis zum Austritt am 29. März auslaufen. Angesichts des anhaltenden Streits über den Brexit-Kurs Großbritanniens hatten die Staats- und Regierungschefs der EU der britischen Regierung am Donnerstag einen Aufschub gewährt.

Angaben zum weiteren Vorgehen"

Nimmt das britische Parlament das Austrittsabkommen in der kommenden Woche doch noch an, wird der Brexit auf den 22. Mai verschoben. Sollte das Unterhaus den Austrittsvertrag erneut ablehnen, ist der Stichtag der 12. April.

Vor diesem Termin müsste Großbritannien dann "Angaben zum weiteren Vorgehen" machen. Konkret geht es um die Entscheidung, ob das Vereinigte Königreich an der Europawahl teilnimmt oder nicht. Bei einer Nicht-Teilnahme droht der ungeordnete Brexit - bei einer Teilnahme stünde eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums an.

May schrieb am Freitag in einem Brief an die Abgeordneten, sie werde das Brexit-Abkommen nur dann erneut zur Abstimmung stellen, wenn sich eine "ausreichende Unterstützung" im Unterhaus abzeichne. Bei zwei Abstimmungen im Jänner und Mitte März war allerdings das Abkommen durchgefallen.

Zu einer Teilnahme an den Europawahlen sagte May, sie sei "zutiefst davon überzeugt", dass dieser Schritt "falsch" wäre.

 

Eine Parlamentsmehrheit für das Abkommen zeichnet sich aber weiterhin nicht ab. Bereits am Freitag hatte die nordirische DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung im Unterhaus angewiesen ist, der Premierministerin ein "Versagen" beim EU-Gipfel vorgeworfen. Hinsichtlich des Austrittsabkommens habe sich "nichts verändert", erklärte DUP-Fraktionschef Nigel Dodds.

 

Proteste von Brexit-Gegnern in London

In London wird nun darüber spekuliert, dass May statt einer dritten Abstimmung über das Austrittsabkommen eine ganze Reihe von Abstimmungen im Unterhaus ansetzen könnte, um herauszufinden, ob es im Parlament eine Mehrheit für andere Szenarien gibt.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte die Brexit-Gegner am Samstag auf, das Chaos zu nutzen, um den EU-Austritt doch noch zu verhindern. Mit dem Aufschub aus Brüssel habe sich ein "Fenster" geöffnet, sagte Sturgeon. Diese "Chance" müssten die Brexit-Gegner nun nutzen.

"Der Brexit ist ein völliges und heilloses Chaos", erklärte Londons Bürgermeister Sadiq Khan bereits am Vorabend der Proteste. Er werde darum zusammen mit Menschen aus allen Landesteilen und allen Gesellschaftsschichten auf die Straße gehen und fordern, "dass das britische Volk das letzte Wort hat". Eine Online-Petition für ein zweites Referendum haben mittlerweile mehr als 3,7 Millionen Briten unterzeichnet.

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