Neues Sicherheitsgesetz in Hongkong: Demontage einer Demokratie

Schön war sie nie, aber das sollte sie auch nicht sein. Acht Meter hoch, rosafarben, voller verzerrter Körper und Gesichter.
Die „Säule der Schande“ in der Eingangshalle der Universität Hongkong sollte an die Opfer des Massakers am Pekinger Tian’anmen-Platz 1989 erinnern, an das Ende der chinesischen Demokratiebewegung. Ein Massaker, das laut der kommunistischen Partei niemals stattgefunden haben soll.
Für die Menschen in Hongkong war das Mahnmal identitätsstiftend, weil es auf dem Festland undenkbar wäre. Doch wie so viele Symbole der Freiheit in Hongkong verschwand auch die tonnenschwere Skulptur über Nacht. Nur heimliche Foto- und Videoaufnahmen belegen, wie Angestellte der Uni abgesägte Teile der Säule in einen Lkw trugen.

Die "Säule der Schande" auf dem Gelände der Universität Hongkong - hier stand sie von 1997 bis 2021 und sollte der Opfer des Massakers am Pekinger Tian'anmenplatz gedenken.
Das Vorgehen in der Nacht des 22. Dezember 2021 erinnert nicht nur zufällig an jenes der Kommunistischen Partei, die alle „Unruhestifter“ mit Vorliebe bei nächtlichen Hausbesuchen festnehmen lässt. Symbolischer geht es kaum, wird doch auch die Hongkonger Demokratie seit Jahren stückchenweise abgetragen. Am Samstag, wenn das neue nationale Sicherheitsgesetz in Kraft tritt, geht diese Ära endgültig zu Ende.
Artikel 23
Als Hongkong 1997 von Großbritannien an China zurückgegeben wurde, verpflichtete sich die Regierung per Verfassung, ein Gesetz zum „Schutz der nationalen Sicherheit“ nach chinesischem Vorbild zu etablieren
Massenproteste
Mehrfach scheiterten Gesetzesvorschläge am Widerstand des Volkes. Nach Massenprotesten 2019 verhängte schließlich Peking ein Sicherheitsgesetz über Hongkong und ließ Demokratie-Aktivisten verhaften
Zweites Gesetz
Heute zieht Hongkong mit dem versprochenen, eigenen Sicherheitsgesetz nach. Inklusive schwammiger Tatbestände wie „ausländischer Einflussnahme“
Seit Hongkong wieder an China zurückgegeben wurde, ist die Sonderverwaltungszone dazu verpflichtet, ein solches Sicherheitsgesetz einzuführen. 2019, als die Regierung es zuletzt versuchte, hatten Hunderttausende protestiert, sich wochenlang Straßenschlachten mit der Polizei geliefert, die Bilder gingen um die Welt. Die Führung in Peking konnte sich das nicht bieten lassen und zog die Zügel fester.
Vor vier Jahren verhängte China ein nationales Sicherheitsgesetz über Hongkong, wonach all jene Stadtbewohner, die aus Sicht der Partei die nationale Sicherheit gefährden, auf dem Festland vor Gericht gestellt werden können. Alle wichtigen Rädelsführer von 2019 sind somit heute entweder in Haft, im Ausland oder nur auf Bewährung frei. Die einst mächtige Demokratiebewegung wurde von Peking mit einem Handstreich zerschlagen.
„Ausländische Agenten lauern noch immer in unserer Gesellschaft“
Nun liefert die Hongkonger Regierung also ihr eigenes Sicherheitsgesetz, wie es die Verfassung seit fast dreißig erfordert. Das sei nötig, sagte Regierungschef John Lee, denn: „Noch immer lauern ausländische Agenten und Unabhängigkeitsbefürworter in unserer Gesellschaft.“
Die China-Expertin Katja Drinhausen vom Mercator Institut für China-Studien (MERICS) meint dagegen: „Peking hat es schon jetzt geschafft, die Opposition aus dem politischen Gerüst in Hongkong zu entfernen.“ Bezeichnend: Dass das Gesetz im Parlament angenommen wurde, veröffentlichten Chinas Staatsmedien am Dienstag mit dem „korrekten“ Ergebnis – während die Abstimmung in Hongkong noch lief.
Warum auch ausländische Unternehmer ins Visier geraten könnten
Das neue Gesetz umfasst fünf neue Straftatbestände, die bewusst breit auslegbar sind: Hochverrat, Aufstand, Spionage, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und ausländische Einflussnahme.
Vor allem der letzte Punkt stellt internationale Firmen und Organisationen vor ein juristisches Rätsel. Die Formulierung schaffe „wahnsinnig viel Unsicherheit“, so Drinhausen. „Welche Art von Austausch mit ausländischen Akteuren ist denn gewollt? Wo verlaufen die roten Linien?“ Die Frage betreffe auch „Handelskammern und andere Verbände aus dem Ausland“ – darunter die österreichische Wirtschaftskammer, die ein Außenwirtschaftscenter in Hongkong betreibt, auf KURIER-Anfrage aber zu keiner Stellungnahme bereit war.
Noch vor wenigen Jahren galt Hongkong wegen seiner klaren Rechtslage als „Tor nach China“. Doch nun werde „die Ideologie der kommunistischen Partei in die Hongkonger Gesetzgebung eingeführt“, meint Drinhausen, was zu „Intransparenz und Willkür“ führen werde.
Letztlich wolle die chinesische Führung eine Art vorauseilenden Gehorsam bei den Bewohnern Hongkongs erwirken, indem „der Informationsaustausch, die Zusammenarbeit mit dem Ausland, als potenzielle Gefahr gesehen wird“, so Drinhausen. „Das richtet sich auch explizit an Mitarbeiter der Hongkonger Regierung – und so baut man, ähnlich wie auf dem Festland, eine Mauer auf.“
Kommentare