Hilferuf aus Kroatien: "Können keine mehr aufnehmen"

Weiter, weiter Richtung Norden wollen diese Flüchtlinge, die in der kroatischen Grenzstadt Tovernik einen Bus stürmen. Ein Polizist hilft dabei einem Buben
Kapazitäten erschöpft, Tausende drängen nach. 200 erreichten slowenische Grenze.

Der Appell des kroatischen Innenministers Ranko Ostojic Donnerstag Nachmittag war dramatisch: Griechenland, Mazedonien und Serbien mögen umgehend die Weiterleitung von Flüchtlingen einstellen. "Wir können keine mehr aufnehmen", die Kapazitäten seien mit weit über 7000 bereits erschöpft.

Am Vortag hatte die kroatische Regierung noch Zuversicht verbreitet: Alles unter Kontrolle. Gemeint war der aus Serbien einsetzende Flüchtlingsstrom, nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien geschlossen hatte. Dann überschritten in der Nacht von Mittwoch 4500 Flüchtlinge die kroatische Grenze, bald waren es über 6000, dann 7000, und der Strom riss nicht ab. Die meisten Ankommenden verharrten zunächst am Bahnhof in der ostkroatischen Gemeinde Tovarnik. Donnerstag Mittag machten sich dann plötzlich Hunderte zu Fuß auf den Weg in Richtung Zagreb. Sie verweigern die Registrierung, wollen nicht in Kroatien bleiben – das Ziel ist die Weiterreise über Österreich nach Deutschland. Beim Durchbrechen von Polizeiblockaden kam es zu Verletzten und Ohnmachtsanfällen.

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"Nicht mehr tragbar"

Hilferuf aus Kroatien: "Können keine mehr aufnehmen"
epa04934406 A handout picture made available by the Federal Chancellery of Austria (Bundeskanzleramt, BKA) shows Austrian Chancellor Werner Faymann (L) during a meeting with Croatia's Prime Minister Zoran Milanovic in Zagreb, Croatia, 17 September 2015. The two leaders met to talk on the current migration crisis in Europe. An estimated 5,400 migrants arrived in Croatia in the last 24 hours, the Red Cross said on 17 September, with officials concerned that the country may become overwhelmed by a wave of asylum seekers seeking alternative routes to Western Europe. EPA/BKA/ANDY WENZEL -- BEST QUALITY AVAILABLE -- MANDATORY CREDIT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES/NO ARCHIVES
Die Lage drohte außer Kontrolle zu geraten. "Die Situation in Tovarnik ist nicht mehr tragbar", meinte auch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović. Tags zuvor hatte sie noch gesagt, dass Kroatien bereit sei, alle Flüchtlinge aufzunehmen bzw. weiterzuleiten. Jetzt steht das jüngste EU-Mitglied, das seine europäischen Verpflichtungen wahrnehmen will, vor der Situation, in den nächsten Tagen mit bis zu 20.000 Flüchtlingen konfrontiert zu sein.

Das nächste Land, das mit dem Flüchtlingsstrom in Kontakt kommt, ist Slowenien. Die slowenische Polizei teilte Donnerstag Abend mit, dass sie einen Zug aus Kroatien mit etwa 200 Flüchtlingen an Bord am Grenzbahnhof Dobova gestoppt hat. Laut Vorschriften könnte Slowenien die Flüchtlinge zurück nach Kroatien schicken. Ljubljana hatte schon zuvor mehrere Male beteuert, das EU-Recht konsequent anzuwenden. "Wenn die Flüchtlinge beim Grenzübergang ohne Dokumente ankommen, werden wir sie zurückweisen", betonte eine Polizeisprecherin laut Nachrichtenportal 24ur.com.

Faymann auf Tour

Von einer gesamteuropäischen Herausforderung, die man nur gemeinsam lösen könne, sprachen am Donnerstag bei ihrem Treffen in Zagreb der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanovic und Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. "Österreich und Kroatien werden in der Flüchtlingsfrage sehr eng zusammenarbeiten", erklärte Faymann, wie, das blieb zunächst offen.

Man habe vereinbart, dass die bestehenden Gesetze und Regeln Gültigkeit haben. Das heißt, die Dublin-Regelung (Erstaufnahme-Land, Registrierung) sei einzuhalten. Zudem bekräftigten beide Regierungschefs, dass es dringend einen EU-Sonderrat brauche – der wenig später in Brüssel verkündet wurde (siehe unten).

Danach reiste Faymann zu seinem slowenischen Amtskollegen Miro Cerar. Slowenien.

Die EU-Kommission zeigte sich angesichts der jüngsten Ausschreitungen an Ungarns Grenze zu Serbien besorgt und kritisierte die Vorgehensweise der Polizei gegen Flüchtlinge, die ins Land zu gelangen versuchten. Ungarn rechtfertigte sich und teilte mit, dass sich unter 29 Festgenommenen auch ein bekannter Terrorist befinde.

Am ungarisch-serbisch-rumänischen Dreiländereck wurden Vermessungsarbeiten zum Bau eines neuen Zauns zum EU-Nachbarland Rumänien durchgeführt.

Ich versteh’ sie. Sie sind lange unterwegs gewesen, wissen nicht, was passiert, verstehen die Sprache nicht", seufzt eine der Freiwilligen, die in der Nacht zum Donnerstag an der österreichisch-deutschen Grenze bei Freilassing einsprangen, um zu dolmetschen und zu beruhigen: Weil es bei der Abfertigung stockte, kam Panik auf.

Etwa 500 Flüchtlinge hatten die Nacht auf Donnerstag im Freien verbracht. Auch untertags campierten viele bei der Saalachbrücke. Ihre Plätze, so nah am Ziel, wollten sie nicht aufgeben. Die meisten waren zu Fuß vom Salzburger Hauptbahnhof gekommen, als keine Züge mehr Richtung Deutschland mehr fuhren. Am Grenzposten kam es dann zum Rückstau. Die deutsche Polizei ließ pro Stunde nur Gruppen von 40 Personen passieren. Laufend kamen aber in Salzburg Neuankömmlinge mit Zügen aus Wien und Graz an.

In einem früheren Grenzgebäude wurde eine Notversorgung mit 150 Schlafplätzen hochgezogen. Das Bundesheer schickte 90 Soldaten, um die Polizei zu unterstützen.

Das bayrische Innenministerium setzte am Donnerstag Sonderzüge ein, mit denen Flüchtlinge von Freilassing direkt in deutsche Städte gebracht werden. Am Abend sollen bereits drei Sonderzüge mit je 500 Flüchtlingen gefahren sein, ein weiterer war in der Nacht geplant.

Freiwillige in Gabcikovo

Freiwillig ließen sich die ersten 18 syrischen Asylwerber, die bisher in der Schwarzenberg-Kaserne in Salzburg untergebracht waren, ins slowakische Gabcikovo bringen. 42 Landsleute, die in Kärnten einquartiert sind, wollten in Österreich bleiben.

Unterdessen starten die Vorbereitungen im südsteirischen Spielfeld. Die Polizei rechnet damit, dass dort täglich bis zu 10.000 Menschen ankommen können, sobald Kroatien und Slowenien die Durchreise erlauben.

150 Rot-Kreuz-Helfer bauten Feldküchen und medizinische Versorgung auf. Die Lage war aber generell ruhig: Zu Mittag waren 1500 Plätze in der Grazer Notunterkunft frei, weiters 900 Plätze in Unterpremstätten sowie 200 in einer aufgelassenen Kaserne in Bad Radkersburg.

Die Grenzkontrollen in Spielfeld, Radkersburg und Mureck laufen, doch "es ist zu keinen nennenswerten Verkehrsbehinderungen gekommen", berichtete Polizeisprecher Fritz Grundnig. In Kärnten wird vor Karawanken- und Loibltunnel kontrolliert sowie an sieben Grenzübergängen im Burgenland.

Ratspräsident Donald Tusk hat dem Drängen einiger Regierungschefs nachgegeben und für Mittwochabend nächster Woche die Staats- und Regierungschefs zu einem Krisengipfel nach Brüssel bestellt.

Angela Merkel und Werner Faymann verlangen seit Wochen vehement eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, eine faire Aufteilung der Schutzsuchenden und auch rasche Lösungen. Zuletzt konnten sich die Innenminister der 28 Mitgliedsländer auf keine Quotenregelung und keine gemeinsame Position in der Flüchtlingskrise einigen. Sie treffen sich am Dienstag erneut. Es zeichnet sich bereits ab, dass einige EU-Staaten (Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Polen, Lettland) sich einer solidarischen Aufteilung der Flüchtlinge weiterhin widersetzen.

Koalition der Willigen

Angesichts dieses unsolidarischen Verhaltens will man eine "Koalition der Willigen" bilden, also jener Länder, die schon bisher großzügig Asylwerber aufgenommen haben. An der Quote und an einem verbindlichen Verteilungsschlüssel hält man aus Prinzip fest. Das haben am Donnerstag auch die EU-Abgeordneten mit großer Mehrheit beschlossen.

Auf die Einführung harter Strafen gegenüber den Quoten-Gegnern will man zunächst verzichten. "Was wir mit denen machen, die aus der Solidarität aussteigen, das werden wir sicher bei den nächsten Finanzrunden oder bei anderen Dingen diskutieren", sagte dazu Parlamentspräsident Martin Schulz.

Der Zweck des EU-Gipfels ist ein mehrfacher: Die Staats- und Regierungschefs wollen Flüchtlinge rasch unterbringen und die Asylanträge prüfen. Sie wollen auch Domino-Effekte bei nationalen Alleingängen vermeiden. Die Flüchtlingsfrage dürfe nicht länger Populisten und Rechten in die Hände spielen. Außenpolitisch gilt es, die Fluchtursachen stärker zu bekämpfen. Das heißt, den von Syrien-Flüchtlingen besonders betroffenen Ländern wie Jordanien, Libanon und der Türkei wird finanziell geholfen – und in Syrien selbst will zumindest Frankreich mit Luftschlägen gegen den IS-Terror vorgehen.

Image-Politur

Es geht den EU-Granden aber auch darum, vor dem großen UN-Flüchtlingsgipfel Ende September in New York der Welt zu zeigen, dass die EU handlungsfähig ist, ihre Grundwerte verteidigt und den Flüchtlingsansturm selbst bewältigen kann.

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