Heinz Nußbaumer: Auf Tuchfühlung mit den Mächtigen der Welt

Heinz Nußbaumer mit dem Dalai Lama
Anlässlich der Verleihung des Concordia-Preises fürs Lebenswerk bat der KURIER seinen früheren Außenpolitik-Chef, auf knapp 25 Jahre als Weltreisender zurückzublicken.

Es ist schon Jahre her: Der Außenminister hatte die in Wien akkreditierten Botschafter zu einem Skiwochenende geladen – und eine kleine Schar außenpolitischer Journalisten zog mit ihnen ihre Schwünge in den Skihang. Da stoppte ein Kollege neben mir und sagte unvermittelt: „Weißt Du eigentlich, dass wir den schönsten Beruf auf Erden haben?“ Dieser Satz hat mich lange begleitet – als Frage und als Gewissheit. Geblieben ist die Gewissheit.

Ein Leben als außenpolitischer Journalist beim KURIER – im Rückblick war es ein Wechselbad von Palästen, Luxushotels und Strohhütten; von Sonderflugzeugen und Verhaftungen, von Verlockungen und Bedrohungen – nahezu 25 Jahre lang (von 1966 bis 1989). Immer wieder war ich glücklich, aufbrechen und Grenzen überwinden zu dürfen. Glücklich auch, mit dabei sein zu dürfen, wenn irgendwo der erste Rohentwurf der Zeitgeschichte geschrieben wurde.

Hugo Portisch, mein Chef

Der große Hugo Portisch hatte mich zum KURIER geholt – und wieder fortgegangen bin ich erst, als der letzte Zweifel geschwunden war, dass ich zwar den richtigen Beruf, aber dazu den falschen Körper hatte. Denn da waren die vielen Reisen in Kriege, Krisen und Katastrophen, in große Wahlkämpfe und Friedenskonferenzen – und zu Begegnungen mit den Großen „meiner“ Zeit.

Im Rückblick weiß ich: Nicht immer waren es die Mächtigen in ihren Palästen, die mich mehr berührt und fasziniert haben, als die Ohnmächtigen in ihren Wellblechhütten und Zelten.

Freilich: Der Journalismus tut sich schwer mit jenen, die niemand kennt. Da waren auch der Zeitdruck und die Jahrzehnte, in denen weder Internet noch Handy erfunden waren – und die Welt war noch mit Minen und Stacheldrähten zerschnitten. Da waren die Geheimdienste, die unbemerkt meine Zimmer und Koffer durchsucht haben; auch die Militärs, die mich in Spannungsgebieten verhaftet und verhört haben; die abgehörten Telefone und die Zensurbehörden, die mich gezwungen hatten, Geschichten so lange umzuschreiben, bis sie ihren politischen Absichten entsprochen hatten. Es war Hugo Portisch in Wien, der aus der Jämmerlichkeit meiner Geschichte erkannte, dass der Zensor zugeschlagen hatte.

Da war zudem der permanente Wechsel der Temperaturen und der Hygiene-Erfahrungen; die „Zwischenstopps“ in Spitälern irgendwo in der Welt – unvergesslich der Aufenthalt unter freiem Himmel in einer Sterbeklinik für Hindu-Pilger im indischen Benares; die Tage in einem libyschen Spital, das eben vom „Volk“ übernommen worden war; die 238 gezählten Flohstiche nach einer Nacht am Boden einer Volksschule in Nicaragua

Und dann waren da vor allem die großen Interviews, die allzu oft keiner Erwartung entsprachen: Als US-Präsident Ronald Reagan weit lieber über seine Büroleiterin im Weißen Haus, Helene von Damm, und über seine Reit-Leidenschaft erzählte, als meine politische Neugier zu stillen (ein Kuvert mit nie gestellten Fragen bekam ich beim Weggehen).

Als sich US-Geheimdienstchef Bill Casey im CIA-Hauptquartier zwar meine Fragen anhörte, aber keine davon beantwortete und irgendwann grußlos wegging. Als sich der Bayer Franz-Josef Strauß gleich sowohl die Fragen wie auch die Antworten des von ihm erwünschten „Interviews“ selbst erfand – und dann erbost war, als ich ihm mitteilte, seinen Text könne er bestenfalls als Inserat im KURIER erscheinen lassen…

Schlaflose Nächte

Da waren die schlaflosen Nächte, wenn mir ein König oder Revolutionsführer seine Freundschaft angeboten hat – und ich lernen musste, trotz dieser persönlichen Nähe nicht die Objektivität vergessen zu dürfen. Keine einfache Sache übrigens, wenn im Ausnahmefall eine Ehrenkompanie am Flughafen wartete oder gar ein Sonderflugzeug bereitstand. Oder wenn ich für die Kinder eines arabischen Monarchen im Königspalast“ Kasperltheater“ spielen sollte – und die Kleinen vor Freude strahlten, als das Krokodil dann „Arafat“ hieß. Und wie stolz war ich, wenn mich Bruno Kreisky bisweilen zum stillen Botengänger zwischen nahöstlichen Fronten oder US-Ministern kürte…

Vielleicht gehörte gerade das zu meinen schwierigsten Lernprozessen: Dieser ständige Rollenwechsel des Journalisten zwischen politischer Gunst – und dem Nichts. Und zu oft hat letztlich auch beides gegolten: Im Wohlwollen und der Vertrautheit eines politischen Führers zu glauben, ein wenig an einer besseren Welt mitarbeiten zu können – und am Ende waren alle Hoffnungen verflogen.

Nahezu 25 KURIER-Jahre sind es am Ende geworden– spannend, riskant, konflikt-, aber auch lehrreich. Nie war davon auszugehen, dass meine Texte tatsächlich zur rechten Stunde meine Redaktion erreichten würden. Aber immer standen Ressort-Kollegen, Freunde, bereit, um unter hohem Zeitdruck und mit enormer Kompetenz einzuspringen, wenn meine Berichte wieder einmal ausblieben – aus welchen Gründen auch immer. Unserem Team gehört mein lebenslanger Dank.

Für Weltoffenheit

Und dankbar natürlich auch Hugo Portisch. Von ihm habe ich gelernt, dass wir Außenpolitiker auch Diener der Weltoffenheit und Empathie für unzählige verzweifelte, gequälte, hungernde Menschen zu sein haben. Ob uns das zumindest in Ansätzen gelungen ist? Ob wir imstande waren, in Zeiten der Europäisierung und Globalisierung den Blick unserer Landsleute über die eigenen Grenzen hinaus zu erheben? Ich weiß es nicht. Denn nach wie vor glaube ich, dass wir Österreicher in der Gefahr leben, die Sonne allzu schnell hinter unseren Schrebergärten untergehen zu lassen. Die Aufgabe, dieses Ziel jeden Tag neu anzupeilen, es wird nicht kleiner.

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