Heftige Debatte über zweites Referendum als Betrug am Volk

Werben für zweites Referendum: "Niemand hat dafür gestimmt, ärmer zu werden"
Die Brexit-Debatte nimmt an Schärfe zu. Ex-Außenminister Boris Johnson nennt alle, die zweites Referendum wollen, „verrückt“

„Wer hätte gedacht, dass wir zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum noch immer darüber debattieren, ob und wie wir aus der Europäischen Union austreten? Alle haben die Debatte satt, aber wir haben noch immer keine Lösung gefunden“, sagt der Politologe Anand Menon vom renommierten King’s College in London. „Es wäre zu einfach, die Schuld der unfähigen politischen Führung zu geben – und unfähig ist sie“, betont er gegenüber dem KURIER. „Aber auch eine fähigere Politik hätte ihre liebe Not.“ Zu viele Optionen seien am Tisch. „Die Bevölkerung ist gespalten, der Bruch zieht sich quer durchs Land und durch die Parteien.“

Ruf nach hartem Brexit

Jedes Lager versucht, seine Vorstellungen als die einzig richtigen zu verkaufen. Hinter den Kulissen werden Bündnisse geschmiedet; andere trommeln laut – wie die überzeugten „Brexiteers“ Boris Johnson, Ex-Außenminister unter Premierministerin Theresa May, oder Nigel Farage, Ex-Chef der rechtspopulistischen Ukip-Partei. Farage unterstützt jetzt eine Petition für einen harten Brexit – mit Erfolg: Am Sonntag hatten diese 70.000 unterschrieben, Montagnachmittag waren es bereits mehr als 185.000.

Konsequenzen? „Keine“, erklärte der Politologe Menon. „Petitionen mit mehr als 100.000 Unterschriften werden im Unterhaus behandelt, aber das war es auch schon.“

"Gefühle von Betrug"

Farage, Johnson und Co. wollen raus aus der EU und stemmen sich gegen die anschwellende Debatte eines zweiten Referendums. Wer Letzteres fordere, ätzte Johnson, sei "verrückt" geworden. Eine Abstimmung würde "sofortige, tiefe und unauslöschliche Gefühle von Betrug" nach sich ziehen.

Heftige Debatte über zweites Referendum als Betrug am Volk

Politologe Anand Menon vom King's College London

„Nichts ist mehr sicher“

May wirbt scheinbar unverdrossen weiter für ihr Abkommen mit der EU, obwohl sie im Parlament dafür – zumindest derzeit – keine Mehrheit bekäme. „Es ist zwar nichts in unserem Land mehr sicher“, sagt Menon, „aber das ist doch zu 99 Prozent sicher.“ Eben deshalb hat May das Votum vorige Woche abgesagt. In der Woche ab 14. Jänner wird es stattfinden, sagte sie am Montag. Der Politologe sieht darin ein Spiel auf Zeit: „Dann ist die Zeit schon so knapp, dass vielleicht doch eine Mehrheit für den Deal stimmt, bevor es zu einem harten Brexit kommt.“

"Dampfplauderei"

Das will die oppositionelle Labour-Partei verhindern. Eine Abstimmung vor Weihnachten sei „entscheidend“. Um das zu erreichen, werde man alle Mittel nutzen, betonte Wahlkampfmanager Andrew Gwynne gegenüber BBC One. Welche? Darauf verweigerte er die Antwort, er werde die Strategie sicher nicht im Fernsehen verraten. „Dampfplauderei“, winkt Menon ab. „Es gibt keine Instrumente, mit denen Labour eine Abstimmung diese Woche erzwingen kann.“

 

 

May widmete sich daher am Montag gar nicht dieser Frage, sondern warnte stattdessen eindringlich vor einem zweiten Referendum: Dieses „würde unserer Politik einen irreparablen Schaden zufügen, denn es würde den Millionen, die unserer Demokratie vertrauen, sagen, dass die Demokratie nicht Wort hält“.

Volk soll letztes Wort haben

Am Wochenende hatte sie sich einen Schlagabtausch mit Tony Blair geliefert. Einer ihrer Vorgänger in Downing Street 10 und Ex- Labour-Chef wirbt für eine zweite Abstimmung. May warf ihm vor, es sei „eine Beleidigung des Amtes, das er einst bekleidete, und des Volkes, dem er einst diente“. Blair konterte, es sei „unverantwortlich“, dem Unterhaus den Brexit-Deal aufzuzwingen. „Vernünftig wäre es, das Parlament über alle angebotenen Formen des Brexit abstimmen zu lassen.“ Gebe es keine Einigung, solle das Volk das letzte Wort haben.

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