„In den vergangenen Monaten haben sie begonnen, Drohnen zu schicken, manche bis ganz knapp zum Grenzwall hin. Und dann, ungefähr sechs Wochen vor dem Krieg, hat die Hamas bewaffnete Beobachtungsposten in Gaza errichtet“, erinnert sich Ilana. „Und zwar exakt solche, wie wir sie haben. Sie haben geübt, wie sie den Posten mit Drohnen angreifen.“
Genauso musste es die junge israelische Soldatin dann am 7. Oktober erleben:
Drohnen der Hamas sprengten die Beobachtungsposten der israelischen Armee entlang der Grenzmauer. An die 3.000 palästinensischen Terroristen durchbrachen an Dutzenden Stellen den Wall, verwüsteten die nahen Kibbuzim, stürmten ein Musikfestival, ermordeten über 1.200 Israelis und verschleppten 240 Menschen in den Gazastreifen.
Ilana überlebte schwer verletzt. Doch Dutzende andere der jungen Grenzsoldatinnen, deren Job es ist, Tag und Nacht alles zu beobachten, was sich entlang der Grenzmauer zu Gaza tut, wurden erschossen. Sie alle hatten in den vergangenen Monaten beobachtet, dass im Gazastreifen etwas Ungewöhnliches vor sich geht.
Sie alle hatten ihre besorgniserregenden Beobachtungen berichtet, wie israelische Medien recherchiert haben.
Doch weder der Geheimdienst der Armee noch der Inlandsgeheimdienst Schin Beth schenkte den Berichten der Frauen genügend Achtung.
Martialische Militärübungen
Dabei hatten die Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad selbst immer wieder Videos und Bilder von martialischen Militärübungen auf den sozialen Medien gepostet: Geübt wurde, wie israelische Panzer und Grenzsperren zu zerstören, Häuserkämpfe zu führen und Geiseln zu nehmen sind. „Die israelische Armee wusste von diesen Übungen“, schildert der israelische Ex-General Amir Avivi der BBC, „aber sie hat nicht vorausgesehen, für welches Ziel die Hamas geübt hat“.
„Unwahrscheinlich“
Dabei mangelte es nicht an konkreten Warnungen: Eine erfahrene Geheimdienstmitarbeiterin hatte allein heuer drei Berichte an ihre Vorgesetzten geschickt, schreibt die israelische Tageszeitung Haaretz. Die Hamas, so warnte die Expertin, habe ihre Vorbereitungen für einen umfassenden Angriff abgeschlossen – geplant sei mehr als ein üblicher Terrorangriff, sondern Attacken auf Kibbuzim, massenhafte Morde, Geiselnahmen.
Ihre letzte Warnung kam im August. Die Mail-Antwort ihres Führungsoffiziers: „Das kommt mir doch unwahrscheinlich vor.“
Mehrere Terrorgruppen
Tatsache ist: Israels Armee, Geheimdienst und Regierung haben Entschlossenheit und Zerstörungskraft der Hamas maßlos unterschätzt. Mindestens fünf palästinensische Terrorgruppen aus dem Gazastreifen haben sich der Hamas am 7. Oktober bei ihrer Terrorwelle anschlossen. Den genauen Plan des Schreckenstages dürfte die Hamas allein ausgearbeitet haben.
„Aber wie der Terror dann vor Ort ausgeführt wurde, hat jede Gruppe selbst erledigt“, ist sich Sicherheitsexperte Andreas Krieg vom Londoner Kings College sicher.
Was u. a. dazu führte, dass nicht nur die Hamas Geiseln nach Gaza verschleppte, sondern auch mindestens fünf andere Terrorgruppen. Dutzende Frauen und Kinder sollen sich etwa in der Gewalt des Islamischen Dschihad, der Mudschahedin-Brigaden und der Al-Nasser Salah al- Deen-Brigaden befinden.
Wo sind die Geiseln?
Über das Schicksal dieser Verschleppten ist nichts bekannt. Sogar die Hamas hat Schwierigkeiten, die Namen dieser Geiseln und ihr Versteck zu eruieren.
Geübt haben die palästinensischen Terrorgruppen des Gazastreifens jedenfalls schon seit Jahren. Erstmals im Dezember 2020 praktizierten sie – unter Augen des israelischen Geheimdienstes – sogenannte „permanente Bereitschaft“:
Eine gemeinsame Operationszentrale wurde errichtet, bis zu zehn Terrorgruppen schlossen sich Übungen an, bei denen Panzer, Häuser und Straßenzüge gestürmt wurden. Jedes Jahr im Dezember wurden diese Übungen wiederholt – und jedes Mal wieder auf den sozialen Medien gepostet. Erst heuer im April bombardierte die israelische Armee eines dieser Übungsgelände in Gaza.
Auf Fragen, wie Israels Militär und Geheimdienste die Gefahr so unterschätzen konnten, antwortet die Armee stets gleich: „Wir sind derzeitig darauf konzentriert, die Terrorgefahr der Hamas zu eliminieren.“
Fragen zu einem „potenziellen Versagen werden zu einem späteren Zeitpunkt geklärt“.
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