Große Not im IS-Terror-Kalifat

IS vor Verlust eines Dorfes mit hohem Symbolwert. Miliz auch im Zweistromland auf Verliererstraße.

An sich wäre das Dorf Dabiq im Nordwesten Syriens kaum eine Meldung wert: 3000 Einwohner hatte es einst, es hat keine besondere strategische Bedeutung. Und dennoch hat die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Dabiq derzeit angeblich seine besten Kämpfer versammelt. Nach dem letzten Vorstoß von Rebellen westlich des Ortes ist die Front nicht mehr weit.

Dabiq hat Symbolwert. Nicht umsonst heißt das Propaganda-Magazin des IS Dabiq. In der islamischen Lehre der letzten Dinge, die den Abschluss der Schöpfung und den Beginn einer neuen Welt beschreibt, ist Dabiq Schauplatz der letzten Schlacht islamischer Armeen, die am Ende der Zeit auf ihre Feinde treffen. Der IS schmückte das so aus: Armeen des IS, die in Dabiq die "Kreuzzügler" bekämpfen und vernichten.

In der Tat aber sieht es gerade dieser Tage militärisch katastrophal aus für den IS. Gegner in allen Himmelsrichtungen, die in offenen Feldschlachten gegen den IS ziehen. Aber genau in solchen hat der IS angesichts der Lufthoheit seiner Feinde keine Chance: Er steht immer besser ausgerüsteten Kräften gegenüber. Nicht zuletzt war die Front vor Dabiq so nahe an den Ort herangerückt, weil die US-geführte Anti-IS-Koalition Stellungen des IS bombardierte und Waffen für die dortigen Rebellen abwarf. Darunter moderne panzerbrechende Raketen.

Große Not im IS-Terror-Kalifat
Unterstützung solcher Art, aber auch personell in Form von Spezialkräften aus den USA und aus Frankreich haben auch die Syrischen Demokratischen Kräfte, die den kurdisch dominierten Nordosten Syriens kontrollieren und von dort gerade gegen den IS vorrücken. Derzeit vor allem auf die Stadt Manbij – einen Verkehrsknotenpunkt zwischen der türkischen Grenze und der IS-Hochburg Rakka. Und diese Stadt kommt wiederum aus dem Südwesten in Bedrängnis. Dort stößt die syrische Armee vor.

Im Irak wird Falludscha, als letzte Stadt in IS-Hand in nächster Nähe zu Bagdad, derzeit von irakischen Kräften belagert. Und die Millionenstadt Mossul im Norden des Irak versuchen Peschmerga (Einheiten der autonomen Region Kurdistan) und irakische Armee einzukreisen.

Nichtsdestotrotz sprengte der IS erst vor wenigen Tagen einen 2800 Jahre alten Tempel in der assyrischen Stadt Nimrud im Nordirak und drohte auch, die Pyramiden und die Sphinx in Ägypten zu zerstören. Das ist aber vor allem als Verzweiflungs-PR zu verstehen, weil Schönwetter- und Helden-PR, mit der Tausende angelockt worden waren, nicht mehr ziehen.

Kämpfer-Verschleiß

Denn die Rundum-Defensive bedeutet schwerwiegende Probleme für den IS. Der Verschleiß an Kämpfern übersteigt die Rekrutierungen – sage und schreibe 489 Selbstmordattentate führte der IS nach eigenen Angaben heuer bereits aus. Hinzu kommt, dass Einnahmequellen des IS versiegen.

Nach Ansicht der UNO bedeutet diese Lage aber vor allem eines: Ein erhöhtes Terror-Risiko. Der IS könne dazu übergehen, internationale Ziele ins Visier zu nehmen, so UN-Untergeneralsekretär Jeffrey Feltman. Und der Chef der britischen Streitkräfte, Nicholas Houghton, mahnte zuletzt, dass die militärische Komponente im Kampf gegen den IS überbewertet werde. "Die Gefahr ist die Militarisierung eines ideologischen Problems", so Houghton. Die Politik kümmere sich nicht ausreichend um die politische Stabilisierung der Region.Gerade im Irak droht sich die Geschichte zu wiederholen: Laut einem Bericht von Human Rights Watch häufen sich Berichte über Menschenrechtsverletzungen, von massenhafter Folter bis hin zu Massenerschießungen im Rahmen der Falludscha-Offensive. Sunniten würden von den überwiegend schiitischen Milizen und der Armee pauschal als IS-Kollaborateure behandelt. Und das ist gerade das Muster, das den IS so groß hat werden lassen: Die Marginalisierung der Sunniten durch die schiitische Führung des Landes.

Kampf um Sirte. Während die Terrormiliz IS in Syrien und dem Irak in Bedrängnis gerät, sieht sie sich auch an ihrem stärksten Außenposten, in Libyen, umzingelt. Dort hatte sich die Miliz in einem Machtvakuum zwischen zwei rivalisierenden Regierungen – eine im Osten, eine im Westen – im Umkreis der Küstenstadt Sirte festgesetzt.
Jetzt wird es offenbar eng für den libyschen IS. Am Donnerstag wurde von heftigen Kämpfen bei Sirte berichtet. Truppen der von der UN eingesetzten Einheitsregierung sollen mithilfe von verbündeten Milizen in mehrere Stadtviertel vorgedrungen sein. Das berichtete ein Militärsprecher der Regierung.
Der mögliche Fall von Sirte wäre ein schwerer Schlag für den IS – und ein wichtiger Erfolg für die noch um Anerkennung ringende neue Einheitsregierung.

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