Großbritannien: Brexit könnte Parlament entmachten
Das britische Parlament ist "not amused". Stein des Anstoßes: Die Regierung von Premierministerin Theresa May will das Parlament nicht über den Antrag für einen Austritt aus der Europäischen Union - die Aktivierung des sogenannten Artikel 50 - abstimmen lassen. "Es wird kein Votum über die Anwendung von Artikel 50 geben", sagte die Sprecherin von Premierministerin Theresa May dazu am Mittwoch in London.
Mays Argumentation dafür ist aber ziemlich dünn, meint die britische Politologin Melanie Sully vom Go-Governance-Institut, einem politischen Think Tank in Wien. Sie befürchtet eine Machtverschiebung vom britischen Parlament hin zur Regierung. May berufe sich laut Sully auf ein königliches Vorrecht (royal prerogative). Dieses Vorrecht geht noch auf das Mittelalter zurück und wird in der Praxis selten herangezogen. Hinzukommt, dass weder May noch ihre Regierung vom Volk gewählt wurde.
Ein Gericht soll demnächst entscheiden, ob das königliche Vorrecht in diesem Fall zur Anwendung kommen kann bzw. ob Regierung oder Parlament über den Brexit entscheiden. Nur mischen sich Gerichte in Großbritannien generell nur ungern in den politischen Prozess ein, so Sully. Mit der gerichtlichen Entscheidung sei im Dezember zu rechen.
Das Aufhebungsgesetz soll dagegen sehr wohl im Parlament beschlossen werden, mit Artikel 50 ist das aber eigentlich nicht mehr notwendig. Das Problem: Sobald Artikel 50 aktiviert wurde, kann der Prozess nicht rückgängig gemacht werden. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Zeit, so Sully.
Das Aufhebungsgesetz bedeutet, dass nach zwei Jahren, wenn der Brexit tatsächlich umgesetzt wird, alle EU-Gesetze zu britischen Gesetzen werden. Dann soll entschieden werden, welche Gesetze bleiben und welche nicht. Sully befürchtet, dass das Parlament mit den zig Gesetzen überfordert sein wird.
Was kann die Opposition tun?
Eine Möglichkeit des Parlaments sich gegen einen Alleingang Mays zu wehren, könnte ein Misstrauensantrag gegen die Regierung ein, Neuwahlen könnten die Folge sein. Auch viele Tory-Abgeordnete sind von Mays Vorgehensweise irritiert, das käme erschwerend hinzu. Eine Mehrheit könnte also im Bereich des Möglichen liegen.
Das Vorrecht in der Praxis
In der Vergangenheit haben Premierminister von den sogenannten Vorrechten wenig Gebrauch gemacht, stattdessen haben sie die Unterstützung des Parlaments gesucht – so der Labour-Premierminister Tony Blair beim Irakkrieg und Mays Tory-Vorgänger David Cameron bei einem möglichen Syrieneinsatz, der im Gegensatz zum Irakkrieg abgelehnt wurde. Cameron hat sich im Anschluss an die Entscheidung gehalten, obwohl er mit dem Vorrecht allein hätte entscheiden können.
Vorrecht bei Brexit?
Für Sully stellen die Vorrechte mittelalterliche Maßnahmen dar, wirklich sinnvoll seien sie nur in besonders dringenden Fällen – der Brexit gehört nicht dazu. Die Zeit drängt erst, wenn der Artikel 50 aktiviert wurde.
Eine Debatte wird es geben
Inzwischen hat May ihre Ansage ein wenig relativiert. In ihrer Parlamentsrede reagierte die Premierministerin auf den Widerstand der Abgeordneten und betonte, die Idee, dass das Parlament den Brexit nicht diskutieren werde, sei "völlig falsch".
Im Oberhaus stand am Mittwochnachmittag auf Antrag der Opposition eine Debatte an - die Labour Party forderte in einem Antrag, dass die Parlamentarier die Strategie der Regierung "angemessen prüfen" dürften. May legte einen Zusatzantrag vor, der dieses Anliegen grundsätzlich akzeptiert - allerdings an die Bedingung geknüpft, dass das Votum der Briten vom Juni respektiert wird und die Abgeordneten die "Verhandlungsposition der Regierung" nicht untergraben.
Eines hatte May schon in ihrer ersten Sitzung ihres Kabinetts klar gestellt: "Brexit bleibt Brexit.“ Am Ende entscheidet die Regierung.
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