Die Wut der unbedankten Helfer

Insel Kos: Sorgen um den Tourismus, Angst vor Chaos und Kriminalität durch zu viele Flüchtling
Erst die Krise, jetzt Schuldzuweisungen in Sachen Flüchtlinge: Stimmung ist auf Nullpunkt.

Es ist kein Bild, das man sich von einem Urlaubsparadies malen würde. Die griechische Insel Kos ist im Moment kein Ort der Ruhe. Vor wenigen Tagen haben die Inselbewohner die Landstraße zum künftigen Erstregistrierungszentrum für Flüchtlinge – ein sogenannter Hotspot – mit Steinen versperrt und Feuer entfacht. Als die Polizei eintraf, flogen Äste und Steine in Richtung Beamte, die prompt mit Tränengas antworteten. Eine selbst gebastelte Bombe ging vor der Polizeidienststelle auf Kos hoch. Verletzt wurde niemand, doch Athen musste extra Polizeikräfte auf die Insel entsenden, um die Proteste in den Griff zu bekommen.

Unlängst hat auch Verteidigungsminister Panos Kammenos Probleme mit den Demonstranten bekommen. Er kam per Hubschrauber, um den Baufortschritt des Zentrums zu inspizieren. "Nein zu Hotspots auf unserer Insel", stand auf den Plakaten der Demonstranten, die den Flughafen Kos besetzten und den Minister nicht landen ließen. Kammenos’ Hubschrauber musste auf einem Feld aufsetzen. Zur Baustelle schaffte er es gar nicht.

Kos ist dabei eher ein Ausnahmefall. Anderswo vor der türkischen Küste ist man eigentlich hilfsbereit. Auf Lesbos, das insgesamt drei Hotspots bekommen soll, hat man die Inselbewohner für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – für die vielen geretteten Menschenleben auf See und bei der Erstversorgung auf dem Land.

Doch der Druck, der aus Brüssel in der Flüchtlingskrise kommt, ärgert die Griechen. Athen ist ein Ultimatum gesetzt worden – die Flüchtlingswelle stoppen oder Hinauswurf aus dem Schengenraum.

"Rauswurf absurd!"

"Die Debatte über den Ausschluss Griechenlands aus Schengen ist absurd, insbesondere weil das Land keine Grenzen mit weiteren Schengen-Ländern hat", wettert ein Kommentator der konservativen Tageszeitung Kathimerini. Stattdessen solle man sich darauf konzentrieren, wie man den Menschenstrom über die Ägäis stoppen könne – und wie man mit denjenigen umgehe, die doch hierher gelangen.

"Die Lösung liegt bei der Türkei, und nur ein ehrlicher Dialog zwischen der EU und der Türkei kann dazu führen", sagte der neue Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, nach seinem Treffen mit EU-Parlamentschef Martin Schulz vor wenigen Tagen.

Mitleid mit Flüchtlingen

Die Griechen hätten Mitleid mit den Flüchtlingen. Das hört man immer wieder. Doch sie sind zunehmend genervt, dass die EU sie für die Flüchtlingskrise beschuldigt. Man ist enttäuscht, dass Europa ihr Land aussperren will und dass NATO-Schiffe jetzt in griechischen Gewässern unterwegs sind.

Außerdem haben sie Angst um die eigene Sicherheit, wenn Zehntausende Flüchtlinge in Griechenland stecken bleiben, weil sie nicht weiter in die EU reisen können. Seit Anfang des Jahres sind bereits über 100.000 Flüchtlinge übers Meer nach Griechenland gekommen.

Die Wut der unbedankten Helfer
TOPSHOT - Refugees and migrants massed onto an inflatable boat reach Mytilene, northern island of Lesbos, after crossing the Aegean sea from Turkey on February 17, 2016. / AFP / ARIS MESSINIS

Kos hat dabei ganz eigene Sorgen. "Das ist eine Insel, die überwiegend vom Tourismus lebt", sagt Fevronia Kantartsi, eine Ärztin aus Lesbos, zum KURIER. Wegen des Flüchtlingsansturms haben viele Touristen ihren Urlaub in Griechenland abgesagt. Kos bekam auch schlechte Presse: Eine britische Zeitung machte im Sommer negative Schlagzeilen mit einer Reportage über empörte Touristen im Flüchtlingselend. Die Gemeindeverwaltung auf Kos stellt sich nun gegen Athens Wunsch für einen Hotspot.

Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, dagegen wiederholt gern, dass die Flüchtlingskrise das Beste aus den Menschen auf seiner Insel hervorgebracht habe. Doch sie haben auch davon profitiert. "Bei uns ist der Tourismus nicht so wichtig für die Wirtschaft wie es auf Kos der Fall ist", erklärt die Ärztin Kantartsi. Man lebe hauptsächlich vom Olivenanbau. Der Flüchtlingsansturm sei eigentlich gut für Lesbos. "Die Flüchtlinge haben uns Jobs gebracht. Die Hotels sind mitten im Winter voll ausgebucht, voll NGO-Mitarbeitern, die auch Autos mieten, in den Restaurants essen und hier bei uns einkaufen", erzählt Kantartsi. Manche Flüchtlinge hätten auch Geld für Hotelzimmer. Die lokalen Reisebüros versorgen sie mit Karten für die Fähren nach Athen.

"Kleine Verzögerung"

In den kommenden Tagen machen in Lesbos drei Hotspots auf – für insgesamt 2500 Menschen täglich. "Das ist ein Hotspot mehr, als es in unseren Vereinbarungen mit Brüssel vorgesehen ist. Wir machen es freiwillig", erklärt das griechische Immigrationsministerium gegenüber dem KURIER.

Bis Ende Februar sollen neben Kos und Lesbos auch auf drei weiteren Inseln Registrierungszentren entstehen – für insgesamt mehr als 5000 Flüchtlinge. Wenn alle Hotspots laufen, sei man in der Lage, täglich bis zu 10.000 Flüchtlinge zu registrieren, sagt die Sprecherin. Griechenland habe bereits die Hundert beantragten Registrierungsgeräte von der EU bekommen.

Die Wut der unbedankten Helfer
Refugees and migrants wait to be registered at the migrant registration centre on the Greek island of Chios, February 16, 2016. REUTERS/Alkis Konstantinidis

"Auf Kos arbeiten wir weiter, aber wegen der Proteste rechnen wir mit einer kleinen Verzögerung von einer Woche", erklärt Delithanassi. "Aber wir schaffen das", fügt sie hinzu.

Zuerst aber muss man sich mit dem Bürgermeister von Kos, Giorgos Kyritis von der sozialistischen PASOK, einigen. In kleinen griechischen Gemeinden hat meist der Bürgermeister das Sagen und einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung. Kyritis war von Anfang an gegen das Zentrum und will eine Volksbefragung auf Kos durchführen, um Athen zu zeigen, dass er mit dieser Meinung nicht allein dasteht.

"Ich glaube nicht, dass die Mehrheit auf Kos gegen die Flüchtlinge ist. Da gibt es auch viele, die freiwillig helfen, nur hört man mehr über Proteste, als von Hilfe", sagte Elfi Latsoudi, eine Flüchtlingshelferin aus Lesbos, zum KURIER. "Wir alle hoffen, wir bekommen den Nobelpreis nicht. Menschen ertrinken vor unserer Küste, wir haben NATO-Schiffe hier. Den Friedenspreis zu bekommen, wäre nur komisch."

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