Gewalt gegen Frauen: "Schutzräume allein sind nicht die Lösung"
Frauenprotest vor dem Brandenburger Tor in Berlin: Gegen die Gewalt an Frauen
Berlin, Köln, Offenbach am Main – in mehreren deutschen Städten gingen sie in den vergangenen Wochen zu Tausenden auf die Straßen: die „Töchter“ des Landes. Schon im Oktober sorgte Bundeskanzler Friedrich Merz für Aufruhr, als er im Zusammenhang mit Migrationspolitik sagte, Deutschland habe ein „Problem im Stadtbild“. Später erklärte der CDU-Politiker, die „Töchter“ im Land wüssten, wovon er spreche. Unter dem Motto „Wir sind die Töchter“ demonstrierten daraufhin jene, die sich angesprochen und für rassistische Aussagen instrumentalisiert fühlten. Gleichzeitig fordern nun viele eine ernsthafte Debatte darüber, wie Frauen tatsächlich besser geschützt werden können. Mehr als 50 Frauen aus Politik, Aktivismus, Wissenschaft und Kultur formulierten dazu in einem Brandbrief an Merz konkrete Forderungen.
Inga, stellvertretende Leiterin eines AWO-Frauenhauses in Berlin, spricht darüber, wie sie Gewalt gegen Frauen in ihrer täglichen Arbeit wahrnimmt, wie Kürzungen die Sicherheit gefährden – und was sie sich von der Politik erwartet. Aus Sicherheitsgründen wird nur ihr Vorname veröffentlicht, die Adresse des Frauenhauses bleibt geheim.
KURIER: Zuletzt wurde in Deutschland sehr viel über die Sicherheit von Frauen gesprochen. Sie arbeiten seit über zehn Jahren mit jenen, die geschlechterspezifische Gewalt erfahren müssen. Wie erleben Sie dieses Thema?
Inga: Manchmal geben Entwicklungen Hoffnung: die Istanbul-Konvention (ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2011, Anm.), zum Beispiel; auch verschiedene rechtliche Entwicklungen sind sehr positiv.
Ich beobachte aber auch negative Einflüsse auf Betroffene und meine Arbeit, darunter vermehrt rassistische Strukturen. Wenn jemand auf der Straße oder bei Behördengängen diskriminiert wird, gefährdet das die Sicherheit dieser Person ganz stark.
Aufgrund von Sparmaßnahmen ist jüngst bei Projekten zur Sicherheit von Frauen gekürzt worden. Weitere Kürzungen wurden bereits angekündigt. Ist das nicht auch gefährlich?
Ja, im gesamten Frauenbereich wurde massiv gekürzt – bei feministischen Projekten, bei der Jugendarbeit, leider auch ganz stark in der Prävention. Man wird die konkreten Auswirkungen erst sehen, aber allein aufgrund von wegbrechenden Kindergarten- und Schulprojekten ist auch langfristig gesehen mit negativen Auswirkungen zu rechnen.
Wie wirken sich die Kürzungen auf Frauenhäuser und deren Mitarbeiterinnen, wie Sie, aus?
Gerade Personaleinsparungen sind sehr schwierig, weil die Arbeit an sich schon sehr belastend ist. So kommen noch mehr Druck und Stress dazu. Wir alle versuchen unser Bestes, aber natürlich wirkt es sich negativ auf die Arbeit aus, wenn ich für jede Frau weniger Zeit habe als vorher. Und es ist alles andere als einfach für Betroffene – auch in Berlin – , überhaupt so schnell einen Platz in einem Frauenhaus zu finden. Das ist dramatisch.
Die Plätze sind zu wenige. Steigt auch der Bedarf?
Der war immer schon sehr groß, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Sensibilität erhöht hat. Häusliche Gewalt wurde lange Zeit als etwas Privates betrachtet, das hinter verschlossenen Türen passiert. Die Gesellschaft – und häusliche Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – ist diesbezüglich heute aufmerksamer, die Polizei besser geschult.
So unterschiedlich die Frauen, die zu Ihnen kommen, natürlich sind: Können Sie Einblicke in die Schicksale geben, mit denen Sie täglich konfrontiert sind? Gibt es Situationen, die Sie besonders häufig beobachten?
Jede Geschichte ist total individuell. Aber wenn Frauen zu uns kommen, sind viele erst einmal ganz fertig. Sie kommen aus einer Krise, haben wahrscheinlich eine Trennung hinter sich, mussten gerade ihren Wohnort verlassen. Sie müssen viele Kontakte abbrechen, um sich selbst – und vielleicht auch ihre Kinder – in Sicherheit zu bringen.
- Frauenhelpline: 0800 222 555 (rund um die Uhr erreichbar)
- Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen: https://netzwerk-frauenberatung.at (in fast jedem Bezirk in Österreich)
- Verein Autonome österreichische Frauenhäuser (AÖF): www.aoef.at (Frauenhäuser sind rund um die Uhr erreichbar)
- Dachverband Gewaltschutzzentren Ö: https://www.gewaltschutzzentrum.at/
- Dachverband Kinderschutzzentren Ö: http://www.oe-kinderschutzzentren.at/
Beim gemeinsamen Einordnen merke ich oft, dass viele auch an ihrer Entscheidung, zu gehen und sich Hilfe zu holen, zweifeln. Sie müssten nach diesem riesigen und so wichtigen Schritt erstmal ankommen, zur Ruhe kommen. Das bräuchte Zeit, die sie aber oft nicht haben.
Warum nicht?
Gleich von Beginn an muss sehr viel Bürokratisches geklärt werden, weil es Fristen gibt: Ist die Person finanziell abgesichert? Müssen Strafanzeigen gestellt werden? Muss das Jugendamt eingeschaltet werden? Wir gehen sensibel damit um, begleiten sie. Aber gleichzeitig müssen wir ihnen sagen:
Das und das ist jetzt zu tun. Ich verstehe schon, dass das wichtig ist. Aber manchmal könnte man ihnen ein wenig mehr Zeit geben. Die Situationen sind kompliziert. Wenn man schnell aus der eigenen Wohnung fliehen muss, denkt man etwa vielleicht nicht daran, alle möglichen Dokumente mitzunehmen.
Eine bessere Strafverfolgung bei sexualisierter und häuslicher Gewalt, eine Strategie zur aktiven Prävention von Femiziden, ausreichend finanzierte Frauenhäuser und Schutzräume für alle Frauen – das sind einige der Forderungen, die bekannte deutsche Frauen an Kanzler Merz formuliert haben. Was würden Sie für besonders sinnvoll halten?
Eine gesicherte Finanzierung der Häuser wäre sehr wichtig, die angekündigten Kürzungen sollten zurückgenommen werden. Es muss aber auch mehr in die Prävention und Aufklärung investiert werden, denn Schutzräume allein sind nicht die Lösung. Wir sollten nicht nur mit den Betroffenen, sondern ebenso mit Tätern und auch bereits Kindern verstärkt arbeiten.
Zahlen und Daten
Gewalt an Frauen ist in Österreich ein ernstes Problem. Jede dritte Frau hat in Österreich seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und sexuelle Gewalt erfahren. Rund 37 Prozent haben Erfahrungen mit psychischer Gewalt in Beziehungen gemacht, das ergab eine Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2022.
Bis dato gab es allein heuer (Stand 11.2024) bereits 10 Femizide und 25 Mordversuche beziehungsweise Fälle von schwerer Gewalt. Im Jahr 2023 waren es laut der Autonomen Frauenhäuser (AFÖ) etwa 26 Femizide.
In Österreich gibt es 32 Frauenhäuser. Hinzu kommen Übergangswohnungen in einigen Bundesländern. Es gibt in den Autonomen Frauenhäusern (Stand 2023) 375 Plätze für Frauen, 447 Plätze für Kinder in ganz Österreich. Die Frauen können ihre Kinder mitnehmen. Insgesamt (inklusive weiteren Frauenhäusern von anderen Trägern und Übergangswohnungen haben 1.192 Frauen und Kinder Platz.
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