Brünn bedauert Todesmarsch

Vor allem Frauen und Kinder wurden auf den Marsch geschickt
Erstmals Entschuldigung durch Top-Politiker; Vertriebene zu Gedenken eingeladen.

Es ist ein Meilenstein in der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte Tschechiens und seines Umgangs mit der deutschstämmigen Bevölkerung nach 1945: Am 30. Mai findet zum Gedenken an den Todesmarsch von Brünn über Pohrlitz (Pohořelice) nach Österreich erstmals ein Marsch in die andere Richtung statt. Und der Oberbürgermeister von Brünn hat nicht nur Vertriebenenverbände und Politiker aus Österreich und Deutschland dazu eingeladen, das letzte Stück mitzugehen. Sondern Petr Vokřál wird zum Ende des Gedenkmarsches auch eine Entschuldigungserklärung auf tschechisch und deutsch verlesen.

"Versöhnung"

"Am Samstag, dem 30. Mai, jährt sich auch zum siebzigsten Mal die gewaltsame Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Brünn", schreibt Vokřál in seinem Einladungsbrief etwa an Gerhard Zeihsel, Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich. Die Stadt habe sich entschieden, "aller Opfer würdig zu gedenken. Deswegen hat die Stadt Brünn das Jahr 2015 zum Jahr der Versöhnung ausgerufen".

"Ich werde nach Brünn mitmarschieren", sagt Zeihsel. Seine Großmutter und deren Tochter waren beim Todesmarsch seinerzeit dabei – sie haben überlebt und sich später im bayerischen Odenwald niedergelassen.

Die Versöhnungstöne aus Brünn kommen einer Sensation gleich. Denn die Vertreibung der Sudetendeutschen nach Kriegsende aus der damaligen Tschechoslowakei wird im besten Fall verschwiegen. Oder sie wird unter Berufung auf die Beneš-Dekrete gerechtfertigt, zuletzt von Miloš Zeman im Präsidentschaftswahlkampf gegen Karel Schwarzenberg.

Zwischen Kriegsende 1945 und 1947 wurden knapp drei Millionen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Bevölkerung zu Staatsfeinden erklärt, ausgebürgert und enteignet. Die Vertreibung war eine pauschale Racheaktion für die Unterstützung des Nazi-Regimes durch einen Teil der Sudetendeutschen.

"Wilde Vertreibung"

Der Brünner Todesmarsch war eine der ersten Vertreibungen, eine sogenannte "wilde Vertreibung": Am Fronleichnamstag wurde die deutschsprachige Bevölkerung Brünns beim Augustinerkloster zusammengetrieben und Tags darauf bei größter Hitze Richtung österreichischer Grenze getrieben – 27.000 Menschen, vorwiegend Frauen und Kinder, da die Männer meist in Gefangenschaft waren. Weil die Grenze geschlossen blieb, wurden die Vertriebenen in Pohrlitz in Hallen gesperrt, später durften sie über die Grenze. Etwa 5200 Menschen überlebten den Marsch nicht. Insgesamt starben bei den Vertreibungen aus der Tschechoslowakei bis zu 30.000 Menschen.

"Ich hatte das Gefühl, es wird nicht gebührend darüber gesprochen", sagt der tschechische Grüne Jaroslav Ostrčilík, der vor neun Jahren mit Studentenverbänden die erste Gedenkveranstaltung zu dem Todesmarsch – damals noch ein Marsch von Brünn nach Pohrlitz, wo es Massengräber der Opfer gibt – organisierte. Dabei ging es vor allem ums Erinnern der tschechischen Bevölkerung – "Wie in Österreich kommt man auch bei uns im Maturajahr nicht mehr zur Zeitgeschichte".

Vergangenes Jahr verlor die Koalition aus Sozialdemokraten und ODS die Kommunalwahlen, ins Brünner Rathaus zog eine Koalition aus ANO (Bewegung des Millionärs Andrej Babiš), Grünen, der Protestbewegung "Brünn Leben" plus der Volkspartei KDU-CSL ein. Und Bürgermeister Vokřál (ANO), der lange für eine österreichische Firma gearbeitet hat, nahm schon vor Wochen die Gedenkveranstaltung unter seine Fittiche – und drehte den Gedenkmarsch um, zurück in den Garten des Augustinerklosters, wo am 30. Mai zum Abschluss für die Opfer gebetet wird.

Dienstag beschloss die Stadtverwaltung die Erklärung der Versöhnung, die verlesen wird: "Brünn bedauert aufrichtig die Ereignisse vom 30. Mai 1945 und den folgenden Tagen, wo Tausende Menschen zum Abgang aus der Stadt aufgrund des Prinzips der Kollektivschuld oder ihrer Sprache gezwungen wurden", heißt es da.

143 Dekrete, von der tschechoslowakischen Exil- Regierung in London und der Nachkriegsregierung bis Oktober 1945 erlassen, nach Präsident Edvard Beneš benannt. Acht regeln u.a. den Entzug der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und der sozialen Rechte (Enteignung) der deutschsprachigen Bevölkerung. Die Vertreibung ist in keinem Dekret festgeschrieben. Sie wurde von tschechischer Seite aber als Rechtfertigung für Vertreibung/ Aussiedlung der Sudeten-Deutschen verwendet (drei Millionen, 30.000 Tote). Die Dekrete gelten als Folge der deutschen Verbrechen während der Besatzung. Ihre Aufhebung sei nicht nötig, weil sie nicht mehr angewendet würden. Sie gelten aber auch als eine Art Schutz vor Entschädigungsforderungen.
„Was wir 1945 getan haben, würde heute als grobe Verletzung der Menschenrechte gelten“, sagte Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg im Präsident- schaftswahlkampf 2013. „Die damalige Regierung samt Präsident Beneš würde heute vermutlich in Den Haag landen. “ Der heutige Präsident Zeman konterte: „Wer einen Präsidenten der Tschechoslowakei als Kriegsverbrecher bezeichnet, der spricht wie ein Sudetendeutscher.“

Kommentare