Gefangenenaustausch: Moskau will MH-17-Schlüsselzeugen

Wladimir Tsemakh vor Gericht in Kiew
In den Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau dreht sich alles um jenen Mann, der eine russische Beteiligung belegen könnte.

Der zwischen der Ukraine und Russland verhandelte Austausch von Gefangenen droht zu einem internationalen Streitfall zu werden. Denn was Moskau von Kiew anscheinend will, ist nicht weniger als die Aushändigung eines Hauptverdächtigen des MH-17-Abschusses – während Kiew im Gegenzug dem Vernehmen nach einige in Russland inhaftierte ukrainische Aktivisten erhalten könnte. So etwa den Filmemacher Oleh Senzow und auch andere.

Der Name um den sich jetzt aber alles dreht, lautet Wladimir Tsemakh. Er war einst Luftabwehrkommandant einer pro-russischen Einheit in Snizhne, von wo aus jene Rakete abgeschossen worden sein soll, die den Passagierjet am 17. Juli 2014 vom Himmel holte. Alle 298 Menschen an Bord starben damals. Erst am 27. Juni 2019 war Tsemakh von einem ukrainischen Spezialkommando unter großem Risiko aus dem von pro-russischer Milizen kontrollierten Snizhne auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet gebracht worden.

Laut seinem Anwalt wurde Tsemakh nun am Donnerstag von einem Gericht in Kiew ohne ersichtliche Gründe aus der Untersuchungshaft entlassen. Seit Tagen hatten ukrainische Medien immer wieder über Gerüchte berichtet, dass Tsemakh ganz oben auf der Liste jener Personen stehe, derer Moskau im Rahmen des Austausches habhaft werden will. Dabei ist Tsemakh ukrainischer Staatsbürger. Ermittler gehen allerdings davon aus, dass er zumindest über den Transport eines BUK-Luftabwehr-System aus Russland in die Ukraine im Frühjahr 2014 Bescheid weiß – wenn nicht mehr.

Das Problem an der Sache: Die Ermittlungen im MH-17-Fall stehen unter Führung der Niederlande. Die allermeisten Opfer des Fluges, der von Amsterdam startete und nie in Kuala Lumpur ankam, stammen aus den Niederlanden.

Entsprechend gereizt haben die niederländischen Ermittler bereits auf die Gerüchte zu einem Austausch Tsemakhs reagiert. Für sie ist der jetzt Freigelassene eine „Person von besonderem Interesse“. Die niederländische Staatsanwaltschaft „hätte Tsemakh gerne in der Ukraine, damit er verfügbar ist für die Ermittlungen, wenn wir ihm weitere Fragen stellen wollen“, so eine Sprecherin des Ermittlungsteams. Es sei schwer vorherzusagen, ob man mit ihm werde sprechen können, so er sich in Russland aufhalte. Auch schriftlich haben die Niederlande die Ukraine eindringlich gebeten, Tsemakh nicht an Russland auszuhändigen.

Denn nach allem, was die internationalen Ermittlungen zu dem Fall bisher ergeben haben, ist mehr oder weniger gesichert, dass MH-17 von einer BUK russischer Bauart abgeschossen wurde, die von Russland aus in das Kriegsgebiet transportiert worden war. Der Kreml hat diese Darstellung immer zurückgewiesen und eine Einbindung in die Ermittlungen gefordert. Tsemakh ist demnach einer der wenigen Menschen, die eine russische Beteiligung in den Abschuss belegen könnten.

Aber ebenso wie ein möglicher Austausch des Mannes internationale Zerwürfnisse mit sich bringt, so birgt er auch inner-ukrainisches Konfliktpotenzial. Denn zwar ist die Solidarität mit Personen wie Senzow oder anderen Ukrainern in russischer Haft ungebrochen, aber der Preis für deren Freilassung wäre mit eine Aushändigung Tsemakhs denkbar hoch. Nicht zuletzt, da es sich bei den in Russland inhaftierten Ukrainern aus Sicht Kiews um politische Gefangene handelt, Tsemakh jedoch zumindest Hauptzeuge wenn nicht Hauptverdächtiger in einem Fall von Massenmord ist.

 

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