"Gefährliche Entwicklung": Autokratien weltweit auf dem Vormarsch

3,3 Millarden Menschen leben laut Bertelsmann-Studie in autoritär regierten Staaten. Ein Experte erklärt, warum.

Seit 2004 untersucht die deutsche Bertelsmann-Stiftung alle zwei Jahre die politische Entwicklung in 129 Entwicklungs- und Schwellenländern weltweit. Ihr aktueller Befund ist alarmierend. 

Wie die Autoren des aktuellen Transformationsindex ( BTI) am Donnerstag mitteilten, leben heute 3,3 der 7,6 Milliarden Erdenbewohner in autokratischen Staaten, so viele wie nie seit Beginn der Erhebungen. Die Tendenz ist angesichts erodierender Demokratien wie  in der Türkei oder Ungarn steigend.

Der KURIER sprach darüber mit  BTI-Projektmanager Robert Schwarz .

KURIER: Was ist die Kernaussage der Studie?

Robert Schwarz: Im Vergleich zu 2004 zeigt sich eine rapide Abnahme der Akzeptanz demokratischer Institutionen in vielen Ländern. Am deutlichsten ist das in der Türkei zu beobachten. Viele Regierungen klammern sich an die Macht, um ein System aus Korruption und Vetternwirtschaft zu erhalten.

Warum glauben immer weniger Menschen an die Demokratie?

Immer weniger Regierungen gelingt es, soziale Spannungen auszugleichen, oder sie verschärfen diese Spannungen sogar.

Aktuell scheitern Deeskalation und Konsensbildung vor allem im bürgerkriegszerrütteten Jemen und im korruptionsgeplagten Brasilien. Dazu nimmt Armut und soziale Ungleichheit  in vielen Ländern zu.

Die Vertrauenskrisen in die Eliten, die autokratische Regierungen erst an die Macht gebracht haben, hält angesichts dieser Umstände  an.

"Gefährliche Entwicklung": Autokratien weltweit auf dem Vormarsch

Robert Schwarz, Projektmanager Bertelsmann

In Ihrem Ranking belegt das südamerikanische Uruguay den ersten Platz unter den Demokratien. Was ist an Uruguay so besonders?

Uruguay zählt seit bereits 12 Jahren zur Spitzengruppe der Rankings in Bezug auf Demokratie und Regierungsführung. Es gibt u. a. freie und faire Wahlen, Versammlungsfreiheit, eine unabhängige Justiz und Bürgerrechte werden geachtet

Zivilgesellschaft und Parteiensystem sind gut aufgestellt, Regierungswechsel funktionieren gut, die Regierung ist lernfähig. Man kann Uruguay als Transformations-Champion bezeichnen.

Die wirtschaftliche Entwicklung ist längst nicht so weit wie in vielen westlichen Ländern, es gibt viel Armut, dennoch setzt die Regierung ihre sehr begrenzten Ressourcen in vorbildlicher Weise ein, betreibt eine sozial inklusive Politik und schafft es, die Menschen bei ihrer Reformpolitik mitzunehmen.

Am anderen Ende der Skala liegt das ostafrikanische Somalia.

Somalia steht im Gegensatz zu Uruguay in allen Bereichen schlecht da. Das kommt dadurch, dass staatliche Grundlagen nicht existieren und die Regierung über die Hauptstadt Mogadischu hinaus keine Macht hat. Dazu kommen Warlords, Terrormilizen. Es gibt nicht einmal Rudimente einer Demokratie.

Autoritäre Tendenzen lassen sich auch in Europa beobachten.

Ungarn und Polen stehen für einen Trend, wonach populistische Regierungen mit autokratischen Tendenzen den liberalen Kern der Demokratie untergraben. Sie schwächen Stück für Stück die Kontrollfunktion des Parlaments, unabhängiger Gerichte und kritischer Medien.

Was übrig bleibt, ist das Berufen auf den vermeintlichen Willen des Volkes. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die den liberalen Kräften innerhalb der EU Kopfzerbrechen bereitet.

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