Gaza: Israel dementiert Soldaten-Entführung

Seit Beginn der Angriffe starben schon 500 Menschen - offenbar auch zwei Amerikaner.

Ungeachtet der zahlreichen Toten auf beiden Seiten hat Israels Ministerpräsident Netanyahu eine Ausweitung der Bodenoffensive im Gazastreifen angekündigt. "Wir werden nicht aufhören, bis alle Ziele erreicht sind", sagte Netanyahu am Sonntag in Tel Aviv. Die Hamas reagierte am Sonntagabend scharf und verkündete die Festnahme eines israelischen Soldaten. "Wir haben einen zionistischen Soldaten gefangen genommen", sagte Abu Ubaida von den Ezzedin-al-Kassam-Brigaden im Fernsehsender der Hamas. Er gab den Namen des Soldaten mit Shaul Aaron an und veröffentlichte weiters eine persönliche Erkennungsnummer. In Gaza-Stadt sowie in Ramallah und Hebron im Westjordanland kam es daraufhin zu Jubelszenen.

Israels UNO-Botschafter Ron Prosor dementierte kurz darauf die Entführung: "Diese Gerüchte sind unwahr". Es befinde sich kein israelischer Soldat in der Gewalt der Hamas. Die Hamas hatte zuletzt im Jahr 2006 einen israelischen Soldaten verschleppt. Gilad Shalit wurde 2011 im Austausch gegen 1.027 in Israel inhaftierte Palästinenser freigelassen.

Hilfsorganisationen meldeten mindestens 96 Tote am Sonntag, seit Beginn der Luftangriffe vor knapp zwei Wochen mehr als 500. Von den unabhängigen Sprechern wagte keiner, die Zahl der Zivilisten darunter anzugeben. Israel verlor 18 Soldaten; unter ihnen offenbar auch zwei US-Bürger. Wie US-Medien unter Berufung auf Freunde und Verwandte der Toten berichteten, kämpften die beiden Männer für die israelische Armee. Das US-Außenministerium bestätigte, dass die US-Bürger Max Steinberg und Sean Carmeli im Gazastreifen gestorben seien.

Raketenhagel

Die Bodenkämpfe dauern nun schon fünf Tage - und der Raketenhagel geht weiter. Israels Armee spürte über 20 Angriffstunnel auf, Dutzende unterirdische Abschussrampen und Waffenlager: "Mehr als erwartet." Weit schlechter vorbereitet ging die Zivilbevölkerung in diese Kampfrunde. In der Nacht auf Samstag weitete Israel seine Suchaktionen auf Sadschayje aus, einen westlichen Vorort Gazas. Keine Hamas-Hochburg , aber in Grenznähe. Weshalb die Hamas hier viele ihrer unterirdischen Einrichtungen baute. Am Montagmorgen sind in Rafah sind nach palästinensischen Angaben neun Mitglieder einer Familie getötet worden. Darunter sollen vier Minderjährige sein.

Die Armee hatte ihr Kommen angekündigt. So stieg die Zahl der Geflüchteten auf bis zu 130.000. Die Hälfte lebt jetzt in UNO-Einrichtungen, wo eigentlich auch in Notfällen nur Platz für 35.000 ist. Das Rote Kreuz erwirkte Sonntagmittag eine zweistündige Waffenruhe für diesen Stadtteil. Laut Israel wurde die Bergung von Verletzten und Leichen durch Schüsse der Hamas gestört.

Die Straßenkämpfe ermöglichen der Hamas, ihren Widerstand kameragerecht vorzuführen. Je härter Israel zuschlägt, je größer das Leiden der Zivilisten, desto stärker der Hamas-Anspruch auf Heldenruhm.

Am Montag in der Früh wurden mehrere israelische Dörfer entlang der Grenze zum Gazastreifen in Alarmbereitschaft versetzt, wie das Militärradio berichtete. Bewohner sollten ihre Häuser nicht mehr verlassen, aus Sicherheitsgründen dürften aber keine Details zum Grund der Warnung veröffentlicht werden. In der Vergangenheit waren derartige Sicherheitswarnungen meist dann erlassen worden, wenn Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Israel einzudringen versuchten.

Versorgung

Israels Armee kann in Kämpfen von Haus zu Haus die unterirdischen Einrichtungen zwar langsam zerstören. "Eine vollkommene Zerstörung würde aber Monate andauern", glaubt der Sicherheitsexperte der oppositionellen Arbeitspartei, Omer Bar Lev. Premier Netanyahu schloss eine solche Zeitspanne für die Bodenaktionen nicht aus. Aber nur wenige glauben daran.

Aus humanitären Gründen liefert Israel weiter Strom, Benzin und Lebensmittel in den Gazastreifen. Die alten und porösen Wasserleitungen werden nicht gezielt gestört. "Um wirksamen Druck der Zivilisten auf die Hamas zu erzeugen", so israelische Gaza-Experten, "müsste die Versorgung gestoppt werden." Niemand aber erwägt dieses härteste aller Mittel ernsthaft.

Obama will Waffenruhe

Was in Gaza passiert, hat unabsehbare Auswirkungen auf die gesamte Region. Palästinenserpräsident Abbas ist für Ägyptens Vermittlungsplan. Der sieht eine Waffenruhe vor Gesprächen über Erleichterungen für den Gazastreifen vor. Abbas will Katar und Ankara überzeugen: Mit deren Segen bremst Hamas-Auslandschef Maschal den ägyptischen Plan.

US-Präsident Barack Obama forderte eine "sofortige Waffenruhe" und kündigte auch eine neue Vermittlungsmission seines Chefdiplomaten John Kerry an, der am Montag in Kairo eintrifft. Auch der UN-Sicherheitsrat trifft sich erneut zu einer Dringlichkeitssitzung.

Es zeichnet sich kein baldiges Ende ab. Eher eine qualvoll langsames. Mit einem Zurück zum alten Status quo, den jede Seite als Sieg auslegt. Eine Feuerpause. Keine Pause aber für die Eskalation der Gewalt: Mit dem Bau breiterer Tunnel und stärkeren Raketen für die Hamas. Und noch mehr Leiden für die Zivilbevölkerung beim nächsten Mal.

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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat mit einem Hitler-Vergleich im Zusammenhang mit der israelischen Offensive im Gazastreifen einen diplomatischen Eklat ausgelöst. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Ordu kritisierte Erdogan am Samstagabend das Vorgehen der israelischen Armee in dem palästinensischen Küstenstreifen und verwies auf die vielen getöteten Zivilisten.

"Sie (die Israelis) haben kein Gewissen, keine Ehre, keinen Stolz. Jene, die Hitler Tag und Nacht verurteilen, haben Hitler in Sachen Barbarei übertroffen."

In seiner israelkritischen Rede rief Erdogan die türkische Bevölkerung zur Ruhe auf. Es dürfe keine Übergriffe auf jüdische Mitbürger geben. In dem muslimisch geprägten Land leben etwa 17.000 Juden. Wegen der Gazaoffensive war es in den vergangenen Nächten in mehreren türkischen Städten zu Anti-Israel-Demonstrationen gekommen. Eine regierungsfreundliche Zeitung veröffentlichte ein Hitler-Kreuzworträtsel. Türkische Medien berichteten zudem von einer Welle von Twitter-Einträgen, in denen Israel scharf kritisiert und Bezüge zu Nazi-Deutschland hergestellt worden seien.

Reisewarnung

Das israelische Außenministerium sprach am Samstag eine Reisewarnung für die Türkei aus. Demnach sollten Israelis eine Reise in das Land möglichst vermeiden. Wenn es sich nicht anders einrichten ließe, sollten israelische Bürger bei einem Besuch in der Türkei wachsam sein und Demonstrationen meiden.

Die Beziehungen der einst befreundeten Staaten haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Einen Tiefpunkt erreichte das Verhältnis, als die israelische Marine ein türkisches Boot auf dem Weg zum Gazastreifen aufbrachte und dabei zehn Menschen an Bord tötete. Nach türkischen Angaben sollte das Schiff Hilfsgüter in den abgeschirmten Gazastreifen bringen. Israel warf der überwiegend türkischen Besatzung vor, die Gaza-Blockade durchbrechen zu wollen.

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