"Manchmal erhalten Menschen mitten in der Nacht eine Textnachricht, in der sie aufgefordert werden, ihre Häuser zu evakuieren, so wie es einigen unserer Teammitglieder passiert ist", sagt Cans. "Aber oft wissen die Menschen nicht, wohin sie gehen sollen; sie finden sich draußen mitten in der Nacht unter einem Bombenhagel wieder."
Wie eine mittelalterliche Belagerung
Härter hätte die Antwort der israelischen Regierung kaum ausfallen können. Nach dem beispiellosen Großangriff der radikal-islamistischen Hamas hatte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant am Montag eine Totalblockade des Gazastreifens angekündigt: "Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben."
➤ Mehr dazu: Israel blockiert den Gazastreifen - "Kein Strom, keine Lebensmittel"
Die Feinde, so Gallant, seien "menschliche Tiere" - und so werde man sie auch behandeln. Dem jetzt schon berüchtigten Satz folgten Taten: Täglich schlagen Raketen auf dem Stadtgebiet von Gaza ein, alleine in der Nacht auf Mittwoch waren es laut israelischem Militär wieder mehr als 200. Etliche Wohnhäuser, Moscheen und sogar Krankenhäuser sind nur noch Ruinen. Die Taktik gleicht einer mittelalterlichen Belagerung, nur mit modernem Kriegsgerät.
"Ein von uns unterstütztes Krankenhaus wurde bei einem Luftangriff getroffen und beschädigt", erklärt Cans. Ein anderer Luftangriff habe einen Krankenwagen getroffen, der gerade Verwundete transportierte, "direkt vor dem Krankenhaus, in dem wir arbeiten. Das Team von Ärzte ohne Grenzen, das gerade an einem Patienten operierte, musste das Gebäude in aller Eile verlassen."
"Das wird sich hier in einen Friedhof verwandeln"
Imene Trabelsi, Sprecherin des Internationalen Roten Kreuzes für den Nahen und Mittleren Osten, berichtet von ähnlichen Gräueln. Weil auch die Infrastruktur auf dem Gazastreifen durch die Luftangriffe beschädigt wurde, komme es regelmäßig zu langen Stromausfällen. Die Gesundheitsversorgung stehe damit vor dem Zusammenbruch.
"Krankenhäuser können ohne Strom nicht arbeiten. Auch die Wasserversorgung funktioniert nicht mehr, die Kläranlagen funktionieren nicht mehr. Das verschlimmert die ohnehin schon prekäre Situation massiv", berichtet Trabelsi. Ein Mitarbeiter habe aus einem der größten Krankenhäuser der Stadt berichtet: "Das wird sich hier in den nächsten Stunden in einen Friedhof verwandeln."
➤ Hier lesen Sie von den Gräuel auf der israelischen Seite: Kollege Armin Arbeiter sprach mit dem Vater einer österreichischen Hamas-Geisel
An organisierte Hilfsarbeit sei aktuell kaum zu denken, sagt Trabelsi weiter: "Wir haben wegen der Stromausfälle große Probleme damit, mit unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu kommunizieren. So können wir aktuell den Erwartungen der Bevölkerung, der Hilfe von Verletzten, nicht nachkommen."
Keine Flucht möglich: Auch Ägypten schließt die Grenze
Selbst Fluchtmöglichkeiten gibt es für die Menschen vor Ort keine. Die meisten der Grenzübergänge nach Israel sind bei den Kämpfen zerstört worden - beide Seiten machen einander dafür verantwortlich - der Rest wurde von israelischer Seite als Teil der "Totalblockade" geschlossen. Doch auch die rund 13 Kilometer lange Grenze zu Ägypten ist zurzeit unpassierbar.
Um einen "Massenexodus" in die Halbinsel Sinai zu vermeiden, schloss die ägyptische Regierung den letzten verbliebenen Grenzübergang in Rafah mithilfe einer Militärblockade. Nachts patrouillieren Militärflugzeuge. Größere Fluchtbewegungen sollen bisher, so sagt es das politische Kairo, aber ohnehin nicht beobachtet worden sein.
Für Zivilisten wie Hilfsmitarbeiter in Gaza heißt das: Niemand entkommt dem Albtraum. "Unsere Mitarbeiter vor Ort leben in denselben Konditionen wie der Rest der Bevölkerung: Sie verbringen die Tage damit, Schutz zu suchen und die Nächte damit, angesichts der fortlaufenden Bombardierungen um den Schlaf zu ringen", sagt Trabelsi. "Es ist ein allgemeines Klima der Angst."
Die Vereinten Nationen gaben am Mittwoch bekannt, dass elf Mitarbeiter des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNRWA bei Luftangriffen in Gaza ums Leben kamen, ebenso wie rund dreißig palästinensische Schülerinnen und Schüler. Insgesamt stieg die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen seit Montag auf mindestens 1.050.
Kommentare