Hinrichtungen und Schießereien: Wie die Hamas sich am eigenen Volk rächt

Houthi supporters protest against US, Israel
Kurz nach dem Abzug der Israelis herrschen im Gazastreifen bürgerkriegsähnliche Zustände: Die Hamas trägt Machtkämpfe auf der Straße aus – mit öffentlichen Hinrichtungen.

Mit verbundenen Augen knien vier junge Männer auf der Straße. Hinter ihnen Maskierte, nur die Augen sichtbar. Gewehre richten sich auf Genicke, Schüsse. Auf der Straße im Sabra-Viertel im Westen Gazas liegen vier Leichen. Neugierige schauen der Hinrichtung zu, darunter wohl Angehörige.

Israels Armee ist am Freitag abgezogen, und sofort waren die islamistischen Terroristen von der Hamas wieder zurück. Der Krieg ist zwar vorbei, doch der Rachefeldzug gegen das eigene Volk beginnt erst.

USA angeblich informiert

Auf 7.000 wird die Zahl der Maskierten mit ihren AK-47-Sturmgewehren geschätzt, die am Wochenende überall in den von Israel geräumten Gebieten Gazas auftauchen. Sie machen Jagd auf „Kollaborateure und andere Gesetzesbrecher“, also auf alle, die sich der Hamas widersetzen. Von Angehörigen bewaffneter Großfamilien bis hin zu Helfern bei der Verteilung humanitärer Hilfe, die zum Teil von Israel organisiert wurde.

Trumps 20-Punkte-Programm sieht eigentlich die Entwaffnung der Islamisten vor. Doch nun schießen sie „für Ruhe und Ordnung“ – laut arabischen Medien mit ausdrücklicher Erlaubnis der US-Regierung: In einem geheimen Gespräch von Hamas-Vertretern mit US-Diplomaten sei diese erteilt worden, Minuten vor Unterzeichnung des Abkommens. Trump zeigte sich vor Journalisten informiert: „Sie sollen Probleme begrenzen.“

Die Hamas verfügt nur noch über wenige Raketen, Drohnen oder Tiefbaugeräte, sie gelten als „schwere Angriffswaffen“. Zu deren Verzicht soll die Hamas sich bereit erklärt haben. Was aber mit dem nahezu unendlichen Vorrat an AK 47 ist, ist unklar: Sie genügen, um bürgerkriegsähnliche Zustände zu schaffen, wo immer die Hamas ihr Gewaltmonopol gefährdet sieht – also überall.

Dazu hat der Krieg die alte Konkurrenz der Clans und der nationalistischen PLO wieder aus dem Untergrund geholt. „Die Amerikaner verstricken sich im Netz der Hamas. Sie lassen sich einlullen. Die Hamas herrscht weiter im Gazastreifen“, sagt Ronit Marzan, eine Expertin für die palästinensische Gesellschaft von der Universität Haifa.

Innere Machtkämpfe

Wie schon nach der Hamas-Revolte 2007 kommt der stärkste Widerstand gegen die Hamas vom Durhmusch-Clan in Sabra mit seinen eigenen islamistischen Motiven. Der eingangs beschriebenen Hinrichtung gingen Straßenkämpfe voraus, vier Hamas-Kämpfer wurden getötet. Im nördlichen Beit Lahye kam es zu Schusswechseln zwischen der Hamas und dem dort einflussreichen Al-Manssi-Clan; nicht verschont blieb auch der Majaida-Clan der Tarabin-Beduinen im Süden. Die hatten sich im Krieg von ihrem Jassr Abu Schabab losgesagt, der mit Hilfe Israels eine Miliz gegründet hatte, doch auch indirekter Kontakt mit Israel kann tödlich sein.

Abu Schabab selbst und seine Kämpfer haben sich hinter die „Gelbe Linie“ zurückgezogen, wo weiter die israelische Armee herrscht. Von dort aus operiert auch Hussan al Astal mit seiner kleinen Kämpfergruppe aus ehemaligen PLO-Angehörigen. Er überlebte 2007 ein Massaker der Hamas gegen die PLO-Funktionäre. Al Astal hält die Rückkehr der Hamas auf den Straßen Gazas für ein letztes Aufbäumen: „Die Hamas ist schwach. Sie wollen durch Gräueltaten die Menschen einschüchtern.“ Er wartet auf die internationale Truppe, die Gaza beaufsichtigen soll.

Für die Hamas ist die Gelbe Linie aber kein Hindernis. Am Dienstag wurden drei Bewaffnete hinter der Grenze in Ssadschaye erschossen, als sie sich israelischen Stellungen näherten. Offensichtlich mit dem Ziel, israelische Soldaten zu entführen.

Unklare Entwaffnung

Noch immer weiß niemand, wie die in Trumps 20 Punkten vorgesehene Entwaffnung oder Demilitarisierung des Gazastreifens erfolgen soll. Aus anderen Konfliktgebieten ist eine von der UN angewendete Methode bekannt: Entwaffnung, Abrüstung und Wiedereingliederung. Meist nur mit Teilerfolgen. Wie auch eine weitere, aber umstrittene Maßnahme: Waffenübergabe gegen Bezahlung. Alle Erfahrungswerte stimmen skeptisch: Selbst wenn die Hamas zur Herausgabe ihrer Waffen gezwungen werden könnte, wäre eine baldige Wiederaufrüstung eine Frage der Zeit.

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