„Jetzt geht die nationale Einheit vor“, bekräftigt Israels Premier Benjamin Netanjahu fast täglich neu. Ermittlungen zur Frage, wer die Verantwortung für Israels Versagen vor dem Massakerüberfall der Hamas am 7. Oktober trägt, sollten daher auf „nach dem Krieg“ verschoben werden.
Israels Öffentlichkeit steht zwar weiter hinter Israels Kriegsanstrengungen. Es mehren sich aber Signale, dass sie nicht ganz so fest hinter Premier und Regierung steht. Wofür diese selbst mit ihrer Politik sorgt. Sie verwirrt Rechte wie Linke und vor allem Israels Normalverbraucher. Auch die US-Regierung signalisiert: Wir stehen hinter Israel. Was aber nicht heißen muss, dass der Krieg unbegrenzt so weiter gehen kann. Über das, was „am Tag nach dem Krieg“ politisch mit dem Gazastreifen passieren soll, gehen die Meinungen in Washington und Jerusalem völlig auseinander.
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Washington erwartet von Israel politische Initiativen, die einen Neuanfang in Gaza ermöglichen sollen. Mit internationaler Hilfe wie auch der Teilnahme der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und arabischen Nachbarstaaten. Netanjahu hingegen macht klar, dass er die PA an einer Neuregelung im Gazastreifen nicht beteiligen will. Seine extremistischen Koalitionspartner träumen sogar laut vom Wiederaufbau der 2005 von Israel im Gazastreifen geräumten Siedlungen.
Um seine Koalitionspartner von Ultra-Rechts bei Stange zu halten, will Netanjahu auch einen Haushaltsplan ohne spürbare Kriegssparmaßnahmen verabschieden. Was die Kritik der Öffentlichkeit geradezu provoziert.
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So mischen sich jetzt Proteste gegen die widersprüchliche Haltung der Regierung zu Zugeständnissen mit dem Ziel einer Geiselbefreiung mit den Protesten gegen Geldverschwendung in Kriegszeiten.
Limit für Kriegsdauer?
Vor dem Amtssitz des Premiers in Jerusalem stehen seit letzter Woche trotz winterlicher Temperaturen Protestzelte. Regierungsvertreter in Jerusalem dementierten Meldungen, US-Außenminister Antony Blinken habe ein Limit für die Kriegsdauer vorgegeben. Was formell der Fall sein mag. Trotzdem spricht die Nachrichtenplattform Politico in Washington von einer Kampfeinstellung zum Jahresende. Optimisten unter den israelischen Beobachtern glauben an Ende Jänner. Nach Hamas-Angaben liegen die Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen bislang bei 17.700. Auch wer an deren Glaubwürdigkeit zweifelt, muss von Zahlen ausgehen, die weit höher liegen als in früheren Gaza-Konflikten.
Wobei sich die Offensive der Armee im Gazastreifen trotz des vermuteten Zeitlimits in den letzten Tagen eher verlangsamt. Der frühere stellvertretende Armeechef Jair Golan analysierte die Lage am Wochenende: „Auch wenn Hamas schwer angeschlagen ist, bleibt die Fähigkeit äußerst begrenzt, sie in dieser Region zu vernichten. Unsere Armee braucht realistische Kriegsziele.“
Hamas-Neuaufstellung
Die Hamas-Truppen verstärken derzeit ihren Widerstand. Zur Neuaufstellung ihrer Kräfte kommt auch die Erwartung, dass trotz aller Verluste nur noch bis Jänner durchgehalten werden muss.
Die humanitären Nachschublieferungen für die Zivilbevölkerung wurden von der Hamas nachweislich mehrfach geplündert. Trotzdem führte der Druck aus Washington zu deren Aufstockung. „Heute gehen mehr Kraftstoffe in den Gazastreifen als in der Feuerpause“, kritisierte ein Ex-General am Sonntag. Israels Armee kann zwar klare Erfolge vorweisen. Aber keine Wunder bewirken. Auch die Hamas hat unerreichte Kriegsziele: Die erhoffte arabisch-muslimische Solidarität und die Ausweitung in einen regionalen Konflikt lassen weiter auf sich warten.
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Auch die von den jemenitischen Houthi-Rebellen angekündigte Schließung der Bab-al-Mandeb-Meerenge für den Schiffsverkehr nach Israel dürfte kaum Wirkung zeigen. Israel überlässt die Kontrolle den dort kreuzenden internationalen Kriegsschiffen.
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