Friedensplan an der Frontlinie: Warum Selenskyj und die EU Trump recht geben

Aftermath of a Russian drone attack in Dnipropetrovsk region
Verzichtet die Ukraine offiziell auf Staatsgebiet? Selenskyj und Europas Entscheider machen jetzt die Frontlinie zum Ausgangspunkt für Friedensgespräche.

Hinter den Brüsseler Kulissen war es wohl jedem Entscheidungsträger längst klar, es offiziell auszusprechen dagegen war bisher tabu: Die Ukraine würde bei Friedensverhandlungen mit Russland auf Teile ihres Staatsgebietes verzichten müssen.

Umso bemerkenswerter die Kehrtwende, die Europas maßgebliche Staats- und Regierungschefs gemeinsam mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij jetzt vollzogen haben, in einer gemeinsamen Erklärung, die etwa Deutschlands Kanzler Friedrich Merz, der französische Präsident Emmanuel Macron , Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und der britsche Premier Keir Starmer am Dienstag unterschrieben haben, heißt es wörtlich: „Die aktuelle Kontaktlinie sollte der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein.“

Trump gibt Richtung vor

Erst im Nachsatz verweist man auf das Prinzip, das für Europas Entscheidungsträger bisher als unantastbar galt: Die territoriale Integrität der Ukraine. Grenzen dürften nicht durch Einsatz militärischer Gewalt verschoben werden. Eine Position, die US-Präsident Donald Trump bereits vom Tisch gefegt hat. Beim Gespräch mit Selenskij vor wenigen Tagen machte er klar, dass für seinen Friedensplan eben diese aktuelle Frontlinie Ausgangspunkt der Verhandlungen sei.

Gipfeltreffen verzögert sich

Trump hat nach dem inhaltslos gebliebenen Friedensgipfel mit Putin in Alaska ja eine neue Friedensinitiative gestartet. Höhepunkt soll ein Treffen mit Putin in Budapest sein, das derzeit für Mitte November geplant ist,  sich aber weiter verzögern oder ganz abgesagt werden könnte. Nach US-Angaben von Dienstagabend gibt es keine Pläne für ein baldiges Treffen zwischen Trump und Putin. Dies sei nicht "in naher Zukunft" geplant, sagte ein ranghoher Vertreter des Präsidialamtes in Washington.

Schon in den kommenden Tagen sollen dafür Verhandlungen zwischen Russland und den USA auf Beamtenebene beginnen. Ein Treffen der Außenminister Marco Rubio und Sergej Lawrow war für Ende Oktober angesetzt. Noch aber hakt es bei den Ausgangsbedingungen für diese Gespräche. Schließlich weicht Putin nicht von seiner Maximalforderung ab: Die gesamte Donbass- Region soll Teil Russlands werden, ein deutlich größerer Teil der Ukraine als jener, den die russische Armee bisher eingenommen hat.

EU unter Druck

Die EU ist also wieder einmal unter Druck, eine klare Position in dem Konflikt zu beziehen, damit sie einen Platz am Verhandlungstisch bekommt - wann auch immer der aufgestellt wird - und nicht wie beim letzten Trumpschen Gehversuch Richtung Frieden an den Rand gedrängt wird.

So will man beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs, Donnerstag in Brüssel, der Ukraine den Rücken stärken - und zwar „in Taten, nicht nur in Worten“, wie ein EU-Politiker abseits der Kameras anmerkt. Konkret geht es um die 140 Milliarden der russischen Staatsbank, die in Europa eingefroren sind, genauer gesagt beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear. Die sollen als Absicherung für Kredite für die Ukraine verwendet werden. Rückzahlbar erst dann, wenn Russland seinerseits Entschädigung für den Krieg in der Ukraine leistet. Ein kühnes Konstrukt, vor dessen Risiken viele EU-Politiker warnen. Belgien verlangt außerdem Garantien, um bei einem Platzen der Kredite nicht auf den Schulden sitzen zu bleiben.

EU-Zähneknirschen

Trotzdem sind die meisten EU-Staaten entschlossen, auf dem EU-Gipfel grünes Licht für das riskante Finanzkonstrukt zu geben. Außerdem will man dort ein weiteres Paket an Sanktionen gegen Russland – es ist inzwischen das 19. – beschließen. All das Signale der Unterstützung für die Ukraine, die schon wieder vor Friedenslösungen steht, die über ihren Kopf hinweg ausgetüftelt werden.

Dass die Verhandlungen ausgerechnet in Budapest stattfinden sollen, sorgt in Brüssel für Nervosität und Verärgerung. Dort regiert ja mit Viktor Orban nicht nur ein deklarierter Unterstützer Moskaus, sondern ein ebenso deklarierter Kritiker der EU.

„Es ist aber absolut notwendig, dass wir jetzt darüber reden, wie dieser Krieg gestoppt werden kann“, zeigt sich etwa Deutschlands EU-Minister Gunther Krichbaum pragmatisch. Dass außerdem Orban und mit ihm die ganze rechte EU-Parteifamilie „Patrioten für Europa“ sich schon jetzt als Friedensstifter feiert, die den Kriegstreibern in Brüssel endlich einen Riegel vorschieben , nimmt man eben in Kauf - „zähneknirschend“, wie es ein EU-Diplomat formuliert.

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