Wortwörtlich handelt es sich um eine Brauerei und das französische Verb „brasser“ meint auch die Durchmischung von Menschen aus verschiedenen Milieus. Allerdings hat „Madame Brasserie“ wenig mit dem Bistro um die Ecke zu tun, das auch Arbeiter anzieht.
Hier auf dem Eiffelturm sitzen viele Touristen, deren Gespräche in verschiedenen Sprachen sich zur Mittagszeit zu einem lebendigen Gemurmel vermengen. Es duftet nach Rindfleisch.
Schwierige Jugend
In Frankreich gehört Thierry Marx zum Kreis der berühmtesten Spitzenköche. Er ist ein viel beschäftigter Tausendsassa, der immer an etlichen Projekten gleichzeitig arbeitet. Charismatisch wirkt er, mit seiner kräftigen Statur, der rasierten Glatze und den Lachfalten um die Augen. In seiner wenigen Freizeit betreibt Marx Kampfsport, von dem er sagt, dass der ihn einst davor gerettet habe, als Kleinkrimineller zu enden.
Dem breiten Publikum bekannt wurde der 63-Jährige vor einigen Jahren als Jury-Mitglied der beliebten TV-Kochshow „Top Chef“. Seine persönliche Geschichte spricht viele an, weil sie beweist, dass der „amerikanische Traum“ auch in Frankreich realisierbar ist – einem Land großer, oft fest zementierter Klassenunterschiede.
Aufgewachsen ist der Enkel polnischer Juden in einem Viertel im Pariser Osten, das heute als hip gilt, damals aber ein sozialer Brennpunkt war. Später zog die Familie in den Vorort Champigny-sur-Marne. Als „Phantom-Stadt, ein vages Gebiet“ beschrieb er ihn später. Der junge Thierry Marx trieb sich ziellos auf der Straße herum, er träumte zwar vom Beruf als Bäcker, aber bekam keinen Ausbildungsplatz – zu miserabel war sein Ruf.
Soziales Engagement
Nach abgebrochener Mechaniker-Lehre ließ er sich zum Konditor ausbilden und begann einige Jahre später, nach einem Einsatz als Fallschirmjäger in Libyen, als Küchenhilfe. An der Seite von Koch-Legenden wie Joël Robuchon arbeitete er sich nach oben. Reisen brachten ihn um die Welt, Sydney, Singapur, Tokio.
Ab Ende der 80er-Jahre bekam Marx die ersten Auszeichnungen. „Anfangs ging es mir darum, reich zu werden“, erzählt er. Doch als er sein Ziel erreicht hatte, begann er sich für soziale und Umwelt-Themen zu interessieren. Reichtum ist schön und gut – wenn man ihn teilt. So sieht er es heute.
Thierry Marx hat so viele Projekte, dass er sie im Gespräch wie beiläufig erwähnt. So suchte er etwa den Austausch mit Gefängnis-Insassen und setzte sich für Ausbildungsmöglichkeiten für sie ein. Zu Marx’ jüngsten Kämpfen gehört die Finanzierung von Koch- und Ernährungskursen ab der Grundschule. In ganz Frankreich hat er Ausbildungszentren gegründet, um Schulabbrechern Perspektiven zu geben. „Die jungen Leute heute wollen nicht einfach nur einen Job, der sie mehr schlecht als recht leben lässt“, sagt Marx. „Sie wollen ein Projekt.“
Die aufopfernde Haltung gegenüber der Arbeit, wie seine Eltern sie noch hatten, gebe es nicht mehr: „Zu mir kommen Mitarbeiter, die sagen: Ich verkaufe dir ein bisschen was von meiner Zeit. Ein paar Monate lang, dann sehen wir weiter.“
Gewerkschaftsboss
Damit die Berufe in der Gastronomie und der Hotellerie – Marx steht der größten Gewerkschaft Umih als Präsident vor – attraktiv bleiben, müsse die Branche bessere Arbeitsbedingungen bieten. Derzeit fehlen in Frankreich 220.000 Arbeitskräfte. Das aktuelle Arbeitsrecht sei obsolet, meint Marx: Die Vier-Tage-Woche werde kommen.
Alle in der „Madame Brasserie“ verwendeten Produkte bezieht Marx aus Bauernhöfen im Umkreis von weniger als 200 Kilometern. Er ist Sprecher der landwirtschaftlichen Bewegung „Bleu-Blanc Cœur“ („Blau-Weiß-Herz“), deren Mitglieder klaren Prinzipien hinsichtlich des nachhaltigen Anbaus, des Tierwohls und der Nährstoffwerte der Produkte folgen.
„Wachstum an sich ist nichts Schlechtes, aber es muss im Bewusstsein für die Auswirkungen auf die Erde und die Gesellschaft erfolgen.“ Das System, so sagt er, lasse sich nicht zerschlagen, nur von innen verändern. Nicht radikal, sondern pragmatisch.
„Der Kapitalismus ist effizient, aber er ist nicht gerecht“, so zitiert er „einen anderen Marx, mit einem langen Bart“, wie er schmunzelnd sagt. „Aber man kann ihn gerechter machen“, das sei seine Auffassung.
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