Flüchtlingskrise: Zugverkehr nach Deutschland eingestellt

Überfüllte Bahnsteige am Sonntagabend am Wiener Westbahnhof
Kurswechsel in Berlin: Deutschland führt Grenzkontrollen ein. Bahnverkehr nach Deutschland bis Montag Früh eingestellt. Konsequenzen für Österreich unklar.

In der laufenden Flüchtlingskrise haben sich am Sonntagabend die Ereignisse überschlagen. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière kündigte die vorübergehende Einführung von Grenzkontrollen an. Das sei auch aus Sicherheitsgründen nötig, sagte de Maizière am Sonntag in Berlin. Man habe bei der Maßnahme Österreich konsultiert. In der Nacht auf Montag begannen die deutschen Behörden dann an der deutsch-österreichischen Staatsgrenze mit den Grenzkontrollen, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP aus dem deutschen Grenzort Freilassing meldete. Dafür wurden Straßensperren aufgebaut, die Straße war ab 22 Uhr in beiden Richtungen nur noch ein- statt zweispurig befahrbar.

Darüber hinaus wurde am Sonntag gegen 17 Uhr der Zugverkehr von Österreich nach Deutschland eingestellt. Keine Züge nach Deutschland, und auch kein Schienenersatzverkehr - das ist der Status quo bis Montag, 7 Uhr. Wie die ÖBB am Sonntagabend in einer Aussendung mitteilten, ist davon der gesamte Zugverkehr in Richtung Deutschland an den Bahnhöfen Salzburg, Passau, Simbach, Kufstein, Scharnitz und Lindau betroffen. Auch Korridorzüge zwischen Kufstein und Salzburg wurden über Zell am See umgeleitet. Die Fahrzeit verlängerte sich dadurch um rund 90 Minuten.

Konsequenzen unklar

Flüchtlingskrise: Zugverkehr nach Deutschland eingestellt
ABD0205_20150913 - NICKELSDORF - ÖSTERREICH: Flüchtlinge aus Ungarn warten auf einen Bus, aufgenommen am Sonntag, 13. September 2015 in Nickelsdorf im Burgenland. - FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET
Welche Konsequenzen die Ankündigung Deutschlands, Grenzkontrollen einzuführen, für die Versorgung der Flüchtlinge in Österreich hat, war vorerst unklar. Alleinam Grenzübergang Nickelsdorf kamen am Sonntag in Summe 10.000 Flüchtlinge aus Ungarn an. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) selbst gab an, man könne den "Rückstau" aufgrund des Zulaufs aus Ungarn nicht absehen. Am Sonntagabend war vorerst nicht einmal in Erfahrung zu bringen, wie viele Flüchtlinge derzeit in Österreich sind.

Zahlen zum Bedarf an Notquartieren gab es ebenso wenig wie Prognosen, wie viele Flüchtlinge in den kommenden Tagen nach Österreich kommen könnten, ohne nach Deutschland weiterzureisen. Der Einsatzstab trag am Sonntagabend zusammen, sagte der Sprecher von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Details gab es vorerst keine. Der Sprecher des Innenressorts verwies überhaupt an das Bundeskanzleramt - dieses sei im Krisenfall für die Gesamtkoordination verantwortlich.

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Faymann: Keine durchgehenden Kontrollen

Flüchtlingskrise: Zugverkehr nach Deutschland eingestellt
ABD0099_20150913 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.l.), Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), am Sonntag, 13. September 2015 in Wien, nach einer Sitzung zu möglichen Kontrollen im grenznahen Raum zwischen Österreich und Deutschland. - FOTO: APA/HANS PUNZ
Der Bundeskanzler hatte am Sonntagabend nach einer kurzfristig einberufenen Sitzung der Flüchtlingstaskforce der Regierung erklärt, dass es trotz der deutschen Maßnahmen keine zusätzlichen Kontrollen an der Grenze zu Ungarn geben werde. Man könne jedoch nicht abschätzen, wie sich die Kontrollen der Deutschen auf die Situation in Österreich auswirken werde, so Faymann.

Die bereits bestehenden stichprobenartigen Kontrollen an der ungarischen Grenze werden fortgeführt, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Man könne zur Stunde allerdings noch nicht sagen, wie sich die verstärkten Grenzkontrollen Deutschlands aussehen und wie sie sich auf Österreich auswirken werden, meinte Faymann: "Wir können nicht vorhersehen, wie der Rückstau ausschaut."

Treffen zwischen Merkel und Faymann

Faymann wäre am liebsten, wenn die Kontrollen Deutschlands "nicht am Rücken von Asylwerbern ausgetragen und humanitär ausgeführt werden. Ich gehe davon aus, dass das die deutsche Kanzlerin auch so sieht", sagte er am Sonntag. Für Dienstagmittag ist ein Treffen von Angela Merkel und Faymann in Berlin anberaumt. Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) sowie der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere werden teilnehmen. Faymann betonte, dass Deutschland das Asylrecht weiterhin ernst nehme, es gehe um ein Signal. "Menschen werden in gewissen Stichproben kontrolliert. Das gibt ein gewisses Signal an die Schlepper, darf aber das Asylrecht nicht beeinträchtigen", erklärte der Kanzler.

Seehofer: Kontrollen sind "wichtiges Signal"

Flüchtlingskrise: Zugverkehr nach Deutschland eingestellt
Indes hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) der NachrichtenagenturReuters zufolge davon gesprochen, dass von der schwarz-roten deutschen Regierungskoalition bereits am Samstag ein einstimmiger Beschluss gefasst worden sei, Grenzkontrollen vorübergehend wieder einzuführen. Es handle sich dabei um "ein wichtiges Signal" für Deutschland und den Rest der Welt, betonte er.

Die EU müsse zudem Schengenstaaten wie Ungarn unterstützen und "nicht dämonisieren", so der CSU-Politiker.

"Waren vorbereitet, dass Zugverkehr nach Deutschland ein kleines Hemmnis erfährt"

"Wir waren eigentlich nicht überrascht", sagte der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker am Sonntagabend in der ORF-Sendung Wien Heute zur Entscheidung Deutschlands, Grenzkontrollen wieder einzuführen und temporär den Zugverkehr aus Österreich zu stoppen. Es seien mehrere Szenarien in Betracht gezogen worden, auf die man sich vorbereitet habe.

"Wir waren auch darauf vorbereitet, dass der Zugverkehr nach Deutschland ein kleines Hemmnis erfährt", sagte Hacker. Die Hilfsbereitschaft der Wiener sah er durch die neue Entwicklung ebenfalls nicht in Gefahr. Sie sei nicht dadurch geprägt gewesen, "dass wir helfen und winken", sondern das sei schon ein Statement gewesen. Er glaube, "dass das völlig uneingeschränkt so weitergeht".

Information für Fahrgäste

Für bereits gekaufte Tickets werde es Kulanzlösungen geben, kündigten die ÖBB an. Reisende wurden gebeten, sich vor Fahrtantritt beim ÖBB Kundenservice unter 051717, per Mail unter kundenservice@oebb.at oder im Internet bei der elektronischen Fahrplanauskunft unter scotty.oebb.at zu informieren.

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