"We love you": Deutschland, Land der Träume

Deutschland ist Sehnsuchtsort für viele Flüchtlinge in Europa – allein im August kamen 100.000. Warum eigentlich?

Angela Merkel, zumindest diese hier, weiß noch nicht, nach wem sie benannt wurde. Sie ist erst sechs Monate alt, lebt seit Kurzem im Flüchtlingsheim in Hannover. Ihre Mutter, die 26-jährige Ophelya Adé aus Ghana, hat sie so getauft wie die Kanzlerin jenes Landes, das sie aufgenommen hat. "Aus Dankbarkeit", wie sie sagt.

Angela Merkel, die kleine wie die große, sind zu Symbolen für ein neues Deutschland geworden: Man ist plötzlich im Land der Träume. Für die Hunderten, die am Bahnhof in Budapest unablässig "Deutschland, Deutschland" skandieren,gibt es kein anderes, kein besseres Ziel.

Die Gründe dafür? Die kann man vielerorts suchen, etwa in der guten Unterbringungssituation, im relativ hohen Taschengeld oder in den vielversprechenden Aussichten. Syrer können mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit bleiben, Ähnliches gilt für Afghanen und Iraker. Flüchtlinge aus diesen drei Staaten haben zudem oft Familienanschluss in Deutschland – das erhöht wiederum ihre Bleibechancen.

Zaudern und zögern

Aber auch die Politik hat ihren Anteil daran, dass Deutschland zum heißersehnten Zufluchtsort wurde. Zu lange hat man weggeschaut: Bis August rechnete das Innenministerium mit Zahlen, die mit der Realität wenig zu tun hatten – die Prognosen beruhten auf Asylanträgen, nicht auf der Zahl jener, die sich tatsächlich auf deutschem Boden aufhielten. Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms – gerade vom Westbalkan – wurden zu spät gesetzt; auch Innenminister De Maizière gestand nun ein, dass die Herausforderung deutlich größer sei, "als wir alle bisher gedacht haben." 100.000 Flüchtlinge kamen in der Folge allein im August, insgesamt sind es heuer bereits 413.000. Und im Herbst, so die Erfahrung, geht die Kurve stets weiter nach oben.

Kaum reagiert hat die Politik auch auf die Fehlinformation, dass Deutschland Abschiebungen gemäß Dublin III ausgesetzt haben soll. Zwar gilt dies in der Praxis für Syrer, aber nicht für Flüchtlinge aus anderen Staaten – die Kunde verbreitete sich ebenso falsch wie ungehindert. Erzählt wird auch, dass Deutschland in puncto Abschiebungen nicht sehr rigide vorgeht – das wiederum stimmt: Aus Ressourcenmangel gab es 2014 nur etwa 10.000 Abschiebungen, zehn Jahre zuvor waren es noch 23.000 – bei deutlich geringerem Flüchtlingsaufkommen. Mit den in Bayern kürzlich installierten Abschiebezentren für Westbalkan-Flüchtlinge und dem neuen Konzept sicherer Herkunftsstaaten will man die Quote in die Höhe treiben – in der Hoffnung, dass dies viele Fluchtwillige gleich ganz von der Reise abhält.

Ehrenrettung

"We love you": Deutschland, Land der Träume
merkel-plakat
Das Heilsversprechen, das mit Deutschland verbunden wird, hat aber auch viel mit der viel zitierten Willkommenskultur zu tun. Überall im Land wird tatkräftig geholfen, und das überstrahlt das Bild des wachsenden braunen Mobs. "Wir wollen es vielleicht nicht zugeben, aber Deutschland hat in der Flüchtlingskrise eine moralische Überlegenheit", schreibt der britische Independent. Auch die französische Libération meint: "Merkel rettet im Flüchtlingsdrama die Ehre Europas."

Hie und da ist die Hilfe sogar ein wenig überwältigend. Die Münchner Polizei bat am Dienstag die Bevölkerung, "keine Sachen mehr zu bringen" – zu groß war die Menge an Spenden für die Flüchtlinge aus Ungarn. "We love you!", riefen viele, als sie aus den Zügen stiegen.

Das ist übrigens auch das Motto von Moustafa Jacoub. Er hat es in einem Bild verewigt: Seine Collage mit der deutschen Kanzlerin, versehen mit einem arabischen "Wir lieben dich" , hat es im Netz zu kleiner Berühmtheit gebracht. Jacoub ist Syrer – und lebt seit Kurzem als Flüchtling in Deutschland.

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Erstaufnahmeland Die Dublin-Verordnung ist ein für alle EU-Staaten verbindlicher Rechtstext, der festlegt, dass jenes EU-Land für die Bearbeitung von Asylverfahren zuständig ist, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben.

Schwierige Praxis Die Dublin-Verordnung wird heftig kritisiert, weil sie Länder an der EU-Außengrenze wie Ungarn, Italien, Griechenland oder Bulgarien besonders stark in die Pflicht nimmt. Auch ist es in der Praxis oft schwierig, festzustellen, über welches Land Migranten tatsächlich in die EU eingereist sind. Einerseits weil nicht alle Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen tatsächlich registriert werden. Andererseits weil nicht registrierte Migranten ihre Einreiseroute oft nicht freiwillig bekannt geben, weil sie ein bestimmtes Zielland haben.

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