150.000 Flüchtlinge an US-Grenze: "Ansturm nicht zu bewältigen“
Heute endet in den USA eine umstrittene Abschieberegelung. Ein enormer Zustrom wird erwartet, denn in Mexiko sitzen 150.000 Menschen auf gepackten Taschen - ein Zustrom, der "nicht zu bewältigen" ist, wie Politiker vor Ort sagen.
Sie schlafen auf Kartons, zerfetzten Decken, Plastiksäcken oder auf dem Asphalt: 2.000 Asylsuchende, die sich im Schatten der katholischen „Sacred Heart“-Kirche im texanischen El Paso auf der Straße eingerichtet haben. Notgedrungen, weil Übergangsunterkünfte überfüllt sind. Für die Grenzstadt nahe Mexiko ist das aber nur ein lauer Vorgeschmack auf das, was kommen kann, wenn an diesem Donnerstag ein Bollwerk der US-Abschiebungspraxis endgültig fällt.
„Title 42“, eine unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes gegen das Asylrecht in Stellung gebrachte Vorschrift, war vor drei Jahren unter Präsident Donald Trump in Kraft gesetzt worden. Sein Nachfolger Joe Biden behielt die umstrittene Maßnahme zunächst bei. Seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren konnten so über 2,5 Millionen Asylsuchende auf der Stelle an der Grenze abgewiesen werden. Heute aber läuft die Regelung endgültig aus.
Allein gegenüber von El Paso auf der mexikanischen Seite in Ciudad Juarez sitzen derzeit an die 35.000 Armutsflüchtlinge aus Latein- und Mittelamerika seit Wochen auf gepackten Taschen, um bei der erstbesten Gelegenheit in die USA zu gelangen. Im Norden Mexikos stehen nach Erkenntnissen des Heimatschutzministeriums rund 150.000 Flüchtlinge bereit zum Aufbruch.
Auch in anderen US-Grenzstädten wie Laredo oder Brownsville wurde bereits der Notstand ausgerufen. Täglich schicken Kommunpolitiker Hilferufe nach Washington: „Wir können den Ansturm nicht mehr bewältigen.“
Aber aus der Hauptstadt kommt die Unterstützung nur in homöopathischen Dosen. Präsident Joe Biden hat, um dem immer gewaltiger werdenden Druck der Republikaner zu begegnen, 1.500 Soldaten an die Grenze beordert. Sie sollen dem Grenzschutz passiv zur Seite stehen. Die Grenzschützer rechnen ab Ende dieser Woche mit bis zu 13.000 Asylsuchenden – pro Tag.
Einreisezentren
Normal wären 6.000. Um die Zahlen zu senken, will das Weiße Haus einen Puffer um die rund 3.100 Kilometer lange Grenze zum südlichen Nachbarn legen.
Wer Asyl in den USA will, muss künftig in Einreisezentren in Kolumbien und Guatemala (die es noch nicht gibt) vorstellig werden und via Smartphone-App einen Termin mit den US-Grenzbehörden vereinbaren. Ohne den wird man zurückgeschickt. Aber die Zahlen sprengen die Kapazitäten. Und die App funktioniere oft nicht, sagen Bürgerrechtsanwälte.
Nahezu alle Auffanglager entlang der Grenze zu Mexiko platzen aus allen Nähten. In Brownsville, wo am Wochenende ein vorbestrafter Mann mit dem Auto in eine Gruppe von Asylsuchenden aus Venezuela fuhr und acht Menschen tötete, wurde kurzerhand ein Baseball-Spielfeld umfunktioniert. „Wir müssen diese Leute von der Straße holen“, sagen Mitarbeiter vom Roten Kreuz.
Die Republikaner schlachten die teilweise hilflos wirkende Regierungsarbeit in Washington nach Kräften aus: Amerika habe sträflich offene Grenzen. Die Kriminalität nehme überhand. Die von Donald Trump angefangene Grenzmauer müsse unbedingt weitergebaut werden. So lauten einschlägige Slogans der Konservativen. Sie verlangen die rigorose Rückführung der Flüchtlinge und wollen Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas des Amtes entheben.
Demonstrativ hat der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, die Entsendung von 10.000 Nationalgardisten und einer Truppe von Spezialfahndern an die Grenze befehligt. Sein Motto: „Texas muss sich selbst schützen, Washington versagt.“
Aber Joe Biden wird auch aus der eigenen Partei attackiert. Der linke Flügel seiner Demokraten wendet sich gegen einen „inhumanen Umgang“ mit Schutzbedürftigen. Dass der Präsident Soldaten an die Grenze schickt, ist aus Sicht des demokratischen Senators Bob Menendez ein falsches Signal: „Migranten suchen Arbeit und die Abwesenheit von Gewalt, Banden-Kriminalität und Perspektivlosigkeit. Sie sind keine Bedrohung.“
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