Flüchtlinge mit Grad-Raketen beschossen

Flüchtlinge mit Grad-Raketen beschossen
Laut Armee griffen die Separatisten Flüchtlinge an. Die Separatisten haben die Vorwürfe zurückgewiesen.

In der Ukraine dürfte sich ein schrecklicher Vorfall ereignet haben: Ein Bus-Konvoi mit Flüchtlingen aus Luhansk ist nach Militärangaben bei einem Raketenangriff der prorussischen Separatisten getroffen worden. Es sei bisher unklar, wie viele Menschen dabei umgekommen seien, erklärte ein Sprecher der ukrainischen Armee am Montag. "Terroristen haben bei Chriaschtschuwatje und Nowoswitliwka Grad-Raketen auf einen Flüchtlingskonvoi aus Luhansk abgefeuert", sagte er. "Wir warten noch auf die Opferzahlen". Die Separatisten in Donezk erklärten dagegen, sie hätten keine Informationen zu dem Fall. Die ukrainische Armee hat im Osten des Landes nach eigenen Angaben weitere Gebiete zurückerobert. Ukrainische-Soldaten hätten einen Belagerungsring um die von Rebellen besetzte Stadt Horliwka gezogen und einige kleinere Siedlungen übernommen, erklärte das Militär am Montag.

Grad-Raketen sind bei dem Raketenwerfersystem "BM-21 Grad" in Verwendung. Es wurde in den 60ern in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt. "Grad" steht für das russische Wort für Hagel. Bis zu 40 gebündelte Rohre werden dabei auf einem Lastwagen montiert. Alle Raketen können innerhalb von 20 Sekunden abgeschossen werden. Mehr als 50 Staaten besitzen ein solches Waffensystem.

Die Aufständischen haben indes den Vorwurf des Angriffs mit Nachdruck zurückgewiesen. Die Anschuldigungen der Regierung seien eine "Ente", sagte Separatistenführer Alexander Sachartschenko am Montag in Donezk. "Wir beschießen keine Flüchtlinge." Zudem relativierte Sachartschenko frühere eigene Aussagen über militärische Unterstützung aus Russland. "Unsere Waffen haben wir erbeutet", behauptete er. Die Verstärkung durch neue Kämpfer seien Freiwillige. "Heute kamen 14 Serben zu uns", sagte Sachartschenko. Er hatte am Wochenende von "1.200 in Russland geschulten Kämpfern" als Verstärkung gesprochen.

Kein Durchbruch in Berlin

Auch auf diplomatischer Ebene geht wenig weiter. Beim Krisentreffen in Berlin ist kein Durchbruch erzielt worden. Allerdings sprach der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Nacht zum Montag nach einer fast fünfstündigen Unterredung mit seinen Kollegen aus der Ukraine und Russland, Pawel Klimkin und Sergej Lawrow, von einzelnen Fortschritten. Auch die russische Seite sprach zumindest von weiteren Verhandlungen.

Die Minister würden nun ihren Staats- und Regierungschefs berichten. Danach werde entschieden, in welcher Form die Gespräche gegebenenfalls fortgeführt würden, sagte Steinmeier.

"Es war ein notwendiges Gespräch in einer schwierigen Zeit", sagte Steinmeier als Gastgeber des Treffens. Er sprach von "Begegnungen, bei denen auch einmal offenes Wort" falle. Das zentrale Thema sei gewesen, wie man Wege hin zu einem Waffenstillstand in der Ostukraine finden könne. Daneben sei es um eine effektive Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze sowie um humanitäre Hilfe gegangen. Klimkin teilte nach Ende des Treffens über den Kurznachrichtendienst Twitter mit: "Es waren fünf Stunden schwierigster Gespräche. Um Fortschritte zu erzielen, muss man sich wohl noch viele Male für fünf Stunden treffen."

Worst Case-Szenario

Vor dem Gespräch hatte Steinmeier erklärt, ein Erfolg dabei sei alles andere als garantiert. Ziel der Unterredung solle sein, Möglichkeiten für einen Waffenstillstand in der Ostukraine zu erkunden, damit dann eine politischen Lösung des Konflikts erzielt werden könne. Es bestehe die Gefahr, dass die Krise in eine direkte Konfrontation zwischen ukrainischen und russischen Truppen mündet. "Das muss auf alle Fälle vermieden werden", warnte er. Von einer politischen Lösung der Krise sei man noch weit entfernt.

Die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Rebellen in den Separatisten-Hochburgen Donezk und Lugansk im Osten der Ukraine dauerten am Wochenende unvermindert an. Die Rebellen schossen ein ukrainisches Kampfflugzeug ab, die Regierungstruppen rückten Richtung Lugansk vor. Dazu gab es Berichte über das Vordringen eines russischen Militärkonvois auf ukrainisches Gebiet: Während die ukrainische Armee erklärte, die meisten russischen Fahrzeuge zerstört zu haben, dementierte Moskau den Vorfall und erklärte, die ukrainischen Soldaten hätten "Gespenster zerstört".

Lkw stehen weiter

Immerhin gibt es im Streit um den seit Tagen vor der Grenze stehenden russischen Hilfskonvoi eine Einigung: Kiew erkannte ihn offiziell als Hilfslieferung an. Sozialministerin Ljudmila Denissowa bestätigte dem Internationalen Roten Kreuz, dass die Lastwagen insgesamt fast 2.000 Tonnen Lebensmittel, Schlafsäcke und Generatoren transportieren. Die Lkw warten aber weiter auf Abfertigung. Ein IKRK-Beauftragter für Russland habe am Sonntag zwar einen "allgemeinen" Blick auf die rund 300 Lastwagen geworfen, die offizielle Inspektion des Konvois habe jedoch noch nicht begonnen, hieß es. 16 der rund 300 Lkw fuhren am Sonntag bis zum russischen Grenzposten Donezk, wo sie zum Halten kamen.

Im Verlauf der seit vier Monaten andauernden Kämpfe im Osten der Ukraine wurden bereits mehr als 2.100 Menschen getötet. In der Kampfregion leidet die Zivilbevölkerung auch darunter, dass die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Strom nicht mehr funktioniert.

Antikorruptionsbeauftragte in Kiew gibt auf

Indes ist die Antikorruptionsbeauftragte der ukrainischen Regierung, die Journalistin Tetjana Schornowil, zurückgetreten. Es gebe in der Ukraine nicht den politischen Willen, einen "großangelegten und gnadenlosen Kampf" gegen die Korruption zu führen, erklärte die Maidan-Aktivistin am Montag in dem Blog, den sie für die Online-Zeitung Ukrainska Prawda schreibt. „Ich wollte etwas Nützliches für die Ukraine machen. Aber jetzt verstehe ich, dass meine Anwesenheit (in der Regierung) umsonst ist", erklärte Schornowil. Die Berufung der Journalistin in die Antikorruptionsbehörde war vor rund sechs Monaten auf dem Maidan verkündet worden. Der Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew war Ende November von verschiedenen Bürgergruppen aus Protest gegen die Entscheidung des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitschs besetzt worden, ein Assoziierungsabkommen mit der EU doch nicht zu unterzeichnen. Bei den teils gewaltsamen Protesten waren auf dem Maidan rund hundert Menschen getötet worden.

Schornowil wurde durch ihre Recherchen über die Luxusresidenzen des als korrupt geltenden damaligen Staatschefs Janukowitsch und dessen Entourage bekannt. Im Dezember war sie von Unbekannten tätlich angegriffen worden, was im Westen scharf verurteilt wurde. Ihr Ehemann wurde vergangene Woche getötet, als er in einem Freiwilligenbataillon der ukrainischen Armee gegen prorussische Separatisten kämpfte.

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