Angela Merkel läuft die Zeit davon

CSU, SPD und die eigene Partei fallen ihr in den Rücken: Merkel braucht eine neue Asylpolitik – bis März.

"Sie kann es nicht."

Lange Zeit wirkte der hämische Satz, den Gerhard Schröder seiner Nachfolgerin nach seiner Abwahl 2005 zugerufen hatte, völlig anachronistisch. Angela Merkel, die unaufgeregte Krisenmanagerin, die es zur mächtigsten Frau des Kontinents gebracht hat, vor einem unlösbaren Problem? Undenkbar, für sehr lange Zeit.

Jetzt scheint das aber plötzlich vorstellbar. Nicht nur die chronisch meckernde CSU, selbst SPD und CDU blicken derzeit ratlos aufs Kanzleramt – angesichts von 1,1 Millionen Flüchtlingen im Jahr 2015 und mehr als 2000 täglich an der Grenze fordern sie eine Abkehr von Merkels "Wir schaffen das".

"Falsch und gefährlich"

Den symbolträchtigen Anfang im Kritiker-Reigen machte vor einigen Tagen Schröder selbst. Der Altkanzler bot seinen bisher eher zurückhaltenden Genossen mit der Aussage, Merkels Gangart sei "falsch und gefährlich", eine Steilvorlage. Die nutzte auch SPD-Chef Gabriel selbst. Er warf Merkel vor, sich zwar "für die Einladung von über einer Million Flüchtlingen aus dem arabischen Raum feiern zu lassen", sich aber aus der Verantwortung für die Integration zu stehlen.

Das sind ungewohnt harsche Töne vom Koalitionspartner – doch die Stimmen in Merkels eigener Mannschaft sind nicht minder kritisch: Am Montag landete ein Protest-Brief auf ihrem Schreibtisch, der sich für die Schließung der Grenzen starkmachte – unterschrieben von mehreren Dutzend Abgeordneten, darunter neben bekannten Querköpfen auch einige gemäßigte und loyale Stimmen.

"Du machst Europa kaputt!"

Merkels Rückendeckung schwindet, ihre Optionen werden weniger – in Bayern stellt man deshalb bereits unverhohlen die Frage, ob man nicht vielleicht auch eine Lösung ohne sie finden könnte. "Du machst Europa kaputt!", ließ die CSU ihren ehemaligen Parteichef Edmund Stoiber der Kanzlerin nun zurufen – mitsamt dem Hinweis darauf, dass es verhängnisvolle Folgen haben werde , wenn sie ihre Position nicht ändere – vielleicht auch für sie selbst. Die richtige Linie werde sich Bahn brechen – mit oder ohne Merkel, so Stoiber.

Merkel selbst reagiert wie immer – wortkarg und gelassen. "Die Kanzlerin nimmt all diese Hinweise, all diese Wortmeldungen zur Kenntnis", ließ sie am Montag über ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten. Von ihr selbst gab es kein Statement, keine Regung, denn eine offene Konfrontation will sie um jeden Preis vermeiden. Warum sie so ruhig bleibt? Es mag sein, dass ihr bewusst ist, dass ohnehin demnächst die nächste ansteht – am Mittwochabend ist sie als Ehrengast im bayerischen Kreuth, wo die CSU ihre Landtagsklubklausur abhält und einen Antrag auf eine bundesweite Leitkultur einbringen will.

Viel Wahlkampf-Taktik

Ein anderer Grund dürfte aber sein, dass viel von dem Getöse auch Taktik ist. Einen Hinweis darauf hat Stoiber in seinem Rundumschlag sogar selbst gegeben: Bis März habe die Kanzlerin Zeit, um ihren Kurs zu korrigieren, forderte er da mit Nachdruck – denn dann wird schließlich in drei Bundesländern gewählt. Da beiden Großparteien Niederlagen drohen, dient Merkel derzeit allen – selbst der eigenen Partei – als Zielscheibe. In Baden-Württemberg muss die CDU trotz Spitzenplatz vermutlich weiter mit einem grünen Ministerpräsidenten leben, in Sachsen-Anhalt wächst die Angst der Schwarzen davor, dass die AfD ihr Wähler wegnimmt. Nur in Rheinland-Pfalz matchen sich beide auf Augenhöhe – die SPD mit Malu Dreyer, die CDU mit Julia Klöckner.

Letztere ist am Montag übrigens ausgerückt, um die Merkel-Kritiker in die Schranken zu weisen. "Einfach mal die Klappe halten", soll sie denen gesagt haben. Dass gerade sie sich für Merkel starkmacht, mag kurzfristig gut für die Kanzlerin sei – langfristig könnte ihr Klöckners Mitsprache auf Bundesebene aber zu schaffen machen: Ihr wird nämlich nachgesagt, nicht nur Ambitionen auf das Amt der Ministerpräsidentin zu haben – sondern auch auf Merkels Nachfolge.

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