Fischer und Ban Ki-moon: "Moskau einzubeziehen, wäre weiser"

Fischer und Ban Ki-moon: "Moskau einzubeziehen, wäre weiser"
Der Ex-UN-Chef plädiert für Gespräche. Der Präsident a. D. verteidigt die Russland-Politik der Regierung in Wien.

Momentan wirkt es ein wenig, als ob der Westen nicht so recht weiß, wie er mit den globalen Herausforderungen umgehen soll. Versagt er in seiner Rolle des Verantwortung-Übernehmens?

Heinz Fischer: Die Einheit in Europa und die Einheit in der westlichen Welt sind reduziert. Die Vereinigten Staaten spielen eine unerwartete Rolle: Der US Präsident war immer das Zentrum der Stabilität – jetzt nicht mehr. China ist ein zusätzlicher wichtiger Player auf der Weltbühne geworden. Das alles macht Politik komplizierter. Momentan kommt dazu, dass es eine Tendenz nach rechts, zu mehr nationalistischen Lösungen gibt.

Ban Ki-moon: Extremismus und Terrorismus haben dazu geführt, dass die Staaten mehr in die Defensive gehen. Sie wollen mehr ihre interne Sicherheit, ihr Volk schützen. Auch Trump zeigt sich viel defensiver als gedacht. Die America-First-Politik haben wir nicht erwartet.

Wie sehen Sie die Rolle Chinas?

Ban: Bedenken wurden geweckt, dass es zu einem möglichen Konflikt zwischen den USA und China kommt. Aber ich glaube, dass die beiden einen Weg finden werden, um die Spannungen zu reduzieren. Beide sind so groß! Sie verstehen die möglichen Konsequenzen, die die ganze Welt betreffen können. Sie haben einen Sinn für globale Verantwortung – hoffe ich! Wünschenswert wäre eine kompetitive Kooperation.

Wenn man über China spricht, fällt immer auch das Thema Menschenrechte. Verlieren die global an Relevanz?

Ban: Ich bin auch besorgt über Menschenrechte – vielerorts. Auch in China mit seiner schnellen Industrialisierung und dem schnellen Aufstieg. Ich hoffe, dass Peking dem Thema Menschenrechte in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Wie kann die EU den globalen Herausforderungen gerecht werden, wenn sie nicht mit einer Stimme spricht?

Fischer: Es war logisch, dass eine Union, die sich „europäisch“ nennt, so weit wie möglich erweitert wird. Aber unter sechs Freunden kann man alle möglichen Dinge einfacher entscheiden als unter 28. Der Erfolg, von sechs bis 28 zu wachsen, kreiert Probleme. Gleichzeitig wurde die wirtschaftliche Situation schwieriger. Und nationalistische Stimmungen haben es noch schwieriger gemacht. Aber eines ist klar: Die EU, mit über 400 Millionen Einwohnern, ist viel eher fähig, die Interessen der europäischen Staaten zu vertreten, als die einzelnen Staaten selbst.

Ban: Ich denke, dass die EU global eine wichtigere Rolle spielen sollte. Und ich bin der Meinung, dass die Solidarität in der EU viel größer ist als in anderen regionalen Organisationen. Die EU kann eine wichtige Rolle der Balance spielen.

Die EU könnte diese Rolle spielen, aber tut sie das auch?

Ban: Das Zweifeln kommt daher, weil die Solidarität nachgelassen hat. Ich denke da an den Brexit. Alle sprechen jetzt über Brexit. Und es gibt sicher noch andere Themen ...

Fischer: Flüchtlinge.

Ban: Natürlich. Flüchtlinge. Die EU hat mehr als 400 Millionen Menschen und einen fortgeschrittenen Level wirtschaftlicher Entwicklung. Ich denke, mit ein bisschen Mitgefühl kann man dieses Thema lösen. Wenn die EU-Staaten an einem Strang zögen, könnte dieses Thema ganz einfach gelöst werden. Weltweit gibt es 65 Millionen Flüchtlinge. Ein ganz großer Teil davon befindet sich in Entwicklungsländern, nicht in den entwickelten Ländern.

Meinen Sie, die EU hat den falschen Fokus? Ban: Man sollte nicht immer den Fokus auf den Staat legen, in dem die Flüchtlinge ankommen. Das kann die EU als Union lösen, indem sie diese Ankunftsstaaten unterstützt. Wenn die Staaten das Gefühl haben, sie sind mit dem Thema alleine, werden sie Flüchtlinge immer ablehnen. Wenn sie das Gefühl haben, das kann im Kollektiv gemanagt werden, können sie mehr Mitgefühl zeigen.

Ein anderes zentrales Thema ist Russland. Moskau wird vorgeworfen, seine Finger in den internen Angelegenheiten in Europa, in den USA zu haben. Ist Moskau eine Bedrohung?

Fischer: Das war Russland im Kalten Krieg. Nach 1989 hat man sich erwartet, dass die Beziehungen besser werden. Aber der Fakt, dass die NATO bis zu den Grenzen von Russland expandiert hat und sogar frühere Teile der UdSSR Mitglied geworden sind, hatte einen Impact auf die russische Außenpolitik. Die Reaktion Russlands in der Ukraine war auch eine Folge dieser Spannungen. Ich bin unglücklich, dass keine besseren Beziehungen zwischen Europa und Russland möglich waren. Ich hoffe, dass langfristig auf beiden Seiten verstanden wird, dass ein gewisser Grad an Kooperation und gegenseitigem Vertrauen für beide von Nutzen wäre. Russlands wirtschaftliche Probleme könnten Basis für eine intensivierte Zusammenarbeit sein.

Ist das nicht das, was die Regierung in Wien versucht?

Fischer: Ja. Und ich kritisiere den Versuch der Regierung nicht, eine anständige Beziehung zu Russland herzustellen. Weder in der Gegenwart noch in den vergangenen Dekaden. Die Beziehungen zwischen Österreich und Russland seit dem Staatsvertrag 1955 sind eine Erfolgsgeschichte. Ban: Wenn wir uns die letzten zehn Jahre ansehen: Die Themen Georgien und Ukraine müssen große Vorsicht in der westlichen Welt geweckt haben. Ich glaube, dass Russland – was die Wirtschaft betrifft – es derzeit nicht mit den Europäern oder Amerikanern aufnehmen kann. Aber es ist das größte Land der Welt, und es hat einen unglaublichen Einfluss in der Weltpolitik. Es wäre weiser, Moskau einzubeziehen.

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