Finale im Nemtsow-Prozess – ein Krimi auf höchster Ebene

Die Angeklagten vor Gericht. Dadajew (r.) soll geschossen haben.
Spur nach Tschetschenien.Der Mordfall und der Prozess liefern tiefe Einblicke in die Machtmechanismen zwischen Moskau und Grozny.

Am Dienstag sollte das Urteil im Fall um den Mord an Oppositionspolitiker Boris Nemtsow verkündet werden. Dann aber traten plötzlich Formfragen in den Vordergrund: Der Richter erklärte zwei Geschworene für ungeeignet und schloss sie aus.

Für die russische Führung war es ein heikles Verfahren – ebenso heikel, wie der Fall an sich. Denn während Hardliner hinter der Tat ein westliches Komplott orten, offenbart der Fall anderen vor allem tiefe Einblicke in Machtmechanismen.

Angeklagt waren fünf Personen. Der Hauptverdächtige, Zaur Dadajew, hat ein Geständnis abgelegt, zog dieses aber wieder zurück. Ausgegangen wird laut Ankalge von einem Mord, den ein gewisser Ruslan Mukhudinow in Auftrag gegeben haben soll. Dadajew und Mukhudinow haben eine gemeinsame Vergangenheit in einer tschetschenischen Eliteeinheit: Dem Bataillon Sewer. Dadajew war zuletzt Vize-Kommandant (er trat einen Tag nach dem Mord an Nemtsow zurück) und hatte direkten Kontakt zum starken Mann in Tschetschenien: Ramsan Kadyrow. Hier wird es heikel. Denn Mukhudinow sowie ein weiterer von Moskau in dem Fall Gesuchter sollen sich über Tschetschenien ins Ausland abgesetzt haben.

Kadyrow selbst war knapp nach der Tat mit einem Eintrag auf Istagram herausgeplatz. Da nannte er Dadajew jemanden, der "Russland vollständig ergeben" und dem es unmöglich sei, etwas gegen Russland zu tun. Dadajew habe sich womöglich wegen Äußerungen Nemtsows zu dem Anschlag auf die französische Zeitschrift Charlie Hebdo provoziert gefühlt.

Moskaus Statthalter in Grozny pries also einen Mordverdächtigten aus dem engsten eigenen Umfeld. Erschossen worden war Nemtsow praktisch vor dem Kreml. Und dennoch: Eine Woche nach der Tat verlieh Putin Kadyrow im Kreml einen Orden.

Fazit: Der Kreml braucht Kadyrow; Kadyrow aber immer weniger den Kreml. Der Ex-Separatist hat in engster Umarmung mit Moskau geschafft, was zwei Kriege nicht bewerkstelligt haben: Tschetschenien praktisch in die Unabhängigkeit zu führen. In Grosny gibt es nur einen Herrscher: Kadyrow.

Als Gegenleistung verlangt Moskau nur Eckdaten: Den formellen Verbleib in der Russischen Föderation, 100 Prozent der Stimmen für die Staatsmacht bei Wahlen und fallweise die Erledigung militärischer Schmutzarbeit – siehe Ostukraine und Syrien.

Versuche von Nemtsows Familie, eine Einvernahme Kadyrows zu erreichen, scheiterten.

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